Krankhaftes Selbstbewusstsein

Kurze Zeit später war Wolff wieder der Alte, seine Angst wegen Il Cazzo schien komplett vergessen. Er versuchte wieder jede Unterhaltung zu dominieren, und er hatte wieder sein altes Bewusstsein der Größte zu sein zurückgewonnen. Eine Weile lief er mit Gumbrecht und Burbacki einige Meter vor Cedrik, Sylvia und Frauke. Aber gegen Gumbrechts Redewut kam er wohl nicht an. Außerdem vermutete Cedrik, dass ihn Eifersucht zurückfallen ließ. Er konnte es nicht verwinden, dass Cedrik alleine mit Frauke und Sylvia hinter ihm ging. Er habe gesehen, dass es bei ihnen lustiger zuginge, hatte er gesagt, als er zu ihnen stieß. Bei Burbacki und Gumbrecht gäbe es nichts zu lachen. Er wisse nicht ob es schlimmer sei, sich die Vorzüge der neuesten und coolsten Klingeltongeneration anpreisen zu lassen oder zum x-ten Mal die wichtigsten etruskischen Gottheiten aufgezählt zu bekommen.

-- ,,Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera!'', sagte Cedrik verkniffen lachend.

Er konnte nicht anders. Er musste Wolff zustimmen, denn auch ihn schauderte die Vorstellung neben den beiden zu wandern. Aber mit Wolff neben sich, dachte Cedrik, hatte er nicht mehr die Wahl zwischen Pest und Cholera, Wolff war beides in Personalunion.

Wolff freute sich sichtlich, denn er interpretierte Cedriks verkniffenen Gesichtsausdruck dahingehend, dass auch diesen die Vorstellung grauste, Gumbrecht und Burbacki zuhören zu müssen.

Cedrik wusste, dass der wahre Grund Eifersucht war. Es passte nicht in Wolffs Selbstverständnis, Cedrik das Feld zu überlassen. Vielleicht hatte er auch gespürt, dass sie über ihn gelästert hatten. Möglicherweise war er auch wegen der ständigen hastigen Blicke nach hinten -- denn sie wollten schließlich nicht von ihm belauscht werden -- misstrauisch geworden. Frauke hatte gesagt, dass die Zeit dieser Machos vorbei sei und Sylvia sagte, dass vor allen Dingen Wolffens Zeit vorbei sei. In der Badehose hätte man gesehen, dass er schon einen Bauch angesetzt habe und seine Spatzenbeine waren auch nicht gerade attraktiv. Ein wenig Sport täte dem Möchtegern-Casanova äußerst gut.

Die letzten Meter war Wolff fast gespurtet, um aufzuschließen. Dann hatte er Sylvia und Cedrik seine Pranken und auf die Schultern gelegt und sie gefragt, ob sie sich gut um Cedrik kümmern würden. Die beiden Frauen waren ihm ausgewichen und sind sofort schneller gegangen, sodass Wolff mit Cedrik alleine war. Anstoß für seine Windel-Bemerkung war Wolffs Bemerkung, dass Cedrik ihm eigentlich dankbar sein müsse, denn schließlich habe er ihm die beiden Damen in die Arme getrieben. Cedrik entgegnete erstaunt, dass er dies anders sehe, denn schließlich habe er sie doch gerade weggetrieben. Nein, am Strand sei es gewesen. Sie wollten ihm eine Lehre erteilen, indem sie nun mit Cedrik flirteten. So seien sie nun halt mal die Frauen, sagte er breit grinsend. Dann sagte er noch zu Cedrik, er solle sich keine Hoffnungen machen, denn den beiden ginge es nicht um Cedrik sondern letztendlich nur ihm ihn. Sie wollten sich nur ein wenig teuerer verkaufen, wollten ihn eifersüchtig machen, damit er mehr um sie werbe.

Diplomatisch ausgedrückt, machte es Dr. Wolff Cedrik schwer, ihn zu lieben. Von Anfang an. Als er Wolff zum ersten Mal in einem Meeting begegnet war, sagte dieser: ,,Sie sind also der berühmte Dumotel!'' Dabei quetschte Wolff ihm zur Begrüßung seine Hand, als ginge es darum, ihm möglichst viele Knochen zu brechen. Respektvolle Worte aber in einem Tonfall voller Belanglosigkeit. Cedrik mochte ihn nicht, weil er Wolffs Blick nicht stand hielt. Nach Bruchteilen von Sekunden schaute er unter sich. Wolffs Augen schienen sich direkt, ohne das er sich wehren konnte, in sein Hirn zu bohren, schienen jeden seiner Gedanke und Gefühle offen zu legen. Mit seinem Ausweichen akzeptierte er Wolffs Überlegenheit, und Wolff quittierte es sofort mit einem herablassenden väterlichen Schulterklapps. ,,Solche Leute wie Sie braucht die Firma!'', sagte Wolff, und Cedrik dachte, dass die Firma und vor allem er selbst besser ohne Leute wie Wolff leben könnten. Für Cedrik war Wolf war eine Paradeexemplar eines Alpha-Männchen. Jeder Psychologie-Professor würde sich ihn als Forschungsobjekt wünschen. In nichts war Wolff überdurchschnittlich, außer in seinem schier grenzenlosen Selbstbewußtsein. Seine Selbsteinschätzung machte ihn blind für seine mäßige Intelligenz, machte ihn taub für Kritik, machte ihn gefühllos für seine Geschmacklosigkeiten, die er anderen zufügte. Wenn er in den Spiegel sah, sah er nur einen prächtigen Mann und nicht das affenähnliche Gesicht, das nicht nur Cedrik und Gumbrecht in ihm erkennen. Aber die Souveränität mit der ihn seine Ignoranz auftreten lässt macht ihn zum perfekten Alpha-Tier.

Am meisten ärgerte Cedrik, dass es so viele gab, die seine Einschätzung dieses Machos nicht teilten. Wo immer er auftauchte waren immer gleich ein paar Bewunderer um ihn, die seine dummen Witze oder geistreich gemeinten Bemerkungen mit ausgiebigem Lachen belohnten. Die Frauen umschwärmten ihn, als sei er noch ein Junggeselle und nicht ein Familienvater mit zwei Kindern. Die männlichen Wesen der Firma suchten in seinem Dunstkreis zu weilen, als habe er Privilegien zu verteilen. Ein König umringt von Höflingen.

Kurz bevor sie in die Toskana fuhren, hattte Cedrik Wolff spüren lassen, was er von ihm dachte. Wolff diskutierte mit unerträglichem Unverstand in einer Besprechung. Wolff behauptete, dass die Konkurrenz eine Implementierung des Brown-Tashinen-Problems in ihrem neuesten Produkt hätten. Cedrik sagte dass dies unmöglich sei. Wolff sagte lakonisch, dass es vielleicht auch bessere Entwickler gäbe als ihn. Das ginge schon rein wegen der Theorie nicht, verteidigte sich Cedrik aufgebracht, da Brown-Tashinen NP vollständig sei und dies hieße, dass man ihn nicht in praktikablen Laufzeiten implementieren könne. Dann müssten sie halt schnellere Prozessoren einsetzen, sagte Wolff.

-- ,,Das ist aber jetzt nicht ihr Ernst?'', hatte Cedrik ihn gefragt, ,,Man könne doch die Rechenpower aller Computer der Welt zusammenfassen, und es lange nicht zur Berechnung!''

Wolffs ,,So sehe ich das nicht!'' brachte Cedrik in Rage. Wie konnte jemand so unwissend sein und gleichzeitig so uneinsichtig und so rechthaberisch. Was ihn jedoch völlig aus der Fassung brachte, war die Tatsache, dass die anderen Anwesenden Wolffs Skepsis zu teilen schienen, obwohl niemand von ihnen Ahnung von der Materie hatte.

-- ,,Manche Entwickler halten ihren Kopf nur für einen Eiweißproduzenten für ihre Oberarme!'', brüllte er beinahe.

Damit meinte er nicht nur Wolff, sondern auch die anderen Anwesenden. Er musste sich zusammenreißen, den Raum nicht zu verlassen. Wenn man keine fähigen Entwickler im eigenen Haus habe, schlug Wolff zurück, könne man doch die Zusammenarbeit mit der nahen Universität oder mit anderen Spezialisten suchen.

-- ,,Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Suche!'', sagte Cedrik und verließ den Raum.

Wenige Minuten später stürmte er jedoch wieder in das Besprechungszimmer. Knallte Wolff ein Buch vor die Brust und drohte, dass er sich erst wieder mit ihm unterhalten werde, wenn den Text gelesen und vor allem verstanden hätte.

Cedrik erwartete nicht, dass Wolff das Buch lesen würde. Er war sich sicher, dass Wolff es überhaupt nicht verstehen könnte. Aber er wollte ihn vor den anderen bloßstellen. Ihm zeigen, dass ihm das Fachwissen fehlte. Eine Stund später fand Cedrik sein Buch auf dem Besprechungstisch, wo es Wolff hatte liegen lassen. Aber ein paar Tage später fand Cedrik eine Einladung von Dr. Wolff zu einem Vortrag mit dem Titel ,,Brown-Tashinen in der Praxis'' in seinem Posteingang. Der Untertitel brachte Cedrik vollends zum Kochen: ,,Erörterung von praktikablen Lösungswegen mit Professor Dr. Bellinger''

Cedrik stürmte unverzüglich in Wolffens Büro, wie eine Keule hielt er die Einladung hoch erhoben in seiner Rechten. Wolff unterbrach erschrocken ein Telefongespräch und erhob sich hastig, so als erwarte er, dass Cedrik handgreiflich würde.

-- ,,Was soll dieser Schwachsinn?'', brüllte Cedrik.

-- ,,Wir hatten doch in der letzten Besprechung beschlossen, dass wir Externe ...''

-- ,,Wir? Sie hatten vorgeschlagen und beschlossen hatten wir gar nichts!''

-- ,,In der Besprechungsnotiz steht es aber genau so ...'', sagte Wolff, während er einen Ordner von der Seite seines Schreibtisches aufnahm. Die ganze Zeit über ließ er Cedrik nicht aus den Augen.

Wolff reichte ihm beinahe ängstlich die Besprechungsnotiz, so als erwarte er, dass er diese sofort zerfetzen würde.

-- ,,Die Notiz ist von ihnen!'', sagte Cedrik, als erkläre dies alles.

-- ,,Top 5'', sagte Wolff, der sicherheitshalber wieder einen Schritt zurückgewichen war, denn Cedriks Zorn schien noch nicht gebannt.

-- ,,Und wer ist über überhaupt dieser Bellinger?''

-- ,,Sie als Wissenschaftler sollten seinen Namen eigentlich kennen?''

-- ,,Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich alle wichtigen Veröffentlichungen über die Brown-Tashinen-Theorie kenne, aber der Name Bellinger ist mir noch nie begegnet.''

Wolff wühlte einen Artikel aus einem Haufen von Papieren und reichte ihn Cedrik.

-- ,,Das ist eine interne Veröffentlichung der hiesigen Fachhochschule ... '', stellt Cedrik geringschätzig fest.

-- ,,Bellinger ist Professor dort ...''

Cedrik blättert im Artikel, liest die Zusammenfassung und sagt schließlich:

-- ,,Also dieser Artikel hat soviel mit Brown-Tashinen zu tun wie volkstümliche Blasmusik mit Wagner.''

© Bernd Klein