Nie wie ihre Mutter

-- ,,Er hat recht!''

Frauke und Cedrik waren eine Weile schweigend nebeneinander gelaufen.

-- ,,Wer?'', fragte Cedrik.

-- ,,Aber lieber eine Schlampe, als so sein wie meine Mutter! ...Immer diese sterile Ordnung. Dabei war alles nur Schein. Sie tut immer so vollkommen. Die perfekte Mutter und Ehefrau. ...Dabei war es für sie ja immer einfach das Haus tadellos in Schuss zu halten. Sie hatte schließlich keinen Job. ...Aber ihre perfekte Ordnung hat ihr nichts genützt. Ein Kotzbrocken wie mein Vater oder man Mann findet immer ein Haar in der Suppe. Da braucht nur ein Bild schief zu hängen oder er findet seine Brille oder Buch nicht an seinem gewohnten Platz und er rastet aus. ...''

Wolff, Willach und Gumbrecht liefen etwa fünfzig Meter vor ihnen auf dem jetzt sehr breiten Wanderweg. Sie unterhielten sich angeregt, aber Wolff schaute sich immer wieder nach ihnen um.

-- ,,Er hatte sie in der Hand. Sie war in seiner Schuld. Oder besser, sie fühlte sich in seiner Schuld.''

Was sie damit meine, fragte sie Cedrik.

-- ,,Ich bin schuld!'', sagte Frauke und schwieg.

Wie das denn sein könne, fragte Cedrik.

Nur ihre reine Existenz. Wäre sie nie geboren worden, dann wäre alles in Ordnung gewesen. Sie habe Unordnung in das Leben ihrer Eltern gebracht.

-- ,,Was heißt Eltern? Er ist überhaupt nicht mein Vater. Im Prinzip bin ich Italienerin.'', sagte sie und lachte dabei verkrampft.

-- ,,Dein Vater war also ein Italiener?'', fragte Cedrik skeptisch, denn so extrem blass und nordisch wie Frauke immer wirkte, hielt er einen Italiener als Vater für wenig wahrscheinlich.

-- ,,Nein, nein, ich wurde nur in Italien gezeugt. ...In Rimmini.''

Ihre Mutter habe sich sehnlichst ein Kind gewünscht. Jahrelang, aber es habe nie geklappt.

-- ,,Ich glaube, dass sie nur untreu gewesen war, weil sie ein Kind wollte. Sie musste gespürt haben, dass ihr Mann unfruchtbar war. Er wusste es, hatte es beim Arzt erfahren. Aber er hatte es ihr nie gesagt.''

-- ,,Und sie haben dir gesagt, dass du ...'', Cedrik stockte kurz, ,,unehelich bist?''

Sie habe es selbst herausgefunden. Sie sei so elf Jahre alt gewesen. Eines Abends war ihr Vater früher als sonst von der Arbeit nach Hause gekommen. Ihm folgte ein blässlicher breitschultriger Hüne. Große blaue Augen, die ein wenig zu weit auseinander standen und dicke wulstige Lippen um einen riesigen Mund, in den wahrscheinlich eine Banane quer hineingepasst hätte. Als er sie begrüßt hatte, habe er sie merkwürdig angeschaut. Tags zuvor hatten sie gestritten. Ihre Mutter habe getobt, warum er ihr einen Fremden ins Haus schleppen wolle. Messe hin oder her, die Firma müsste doch in der Lage sein, eine Hotelzimmer zu finden. Ihr Vater sagte nur, dass Norbert kein Fremder sei, sondern ein alter Studienkollege, den er schon lange nicht mehr gesehen habe. Für sie sei er aber ein Fremder. Sie kenne ihn auch, hatte er gesagt. Er mache ihr unnätig Arbeit, sagte sie. Sie müsse extra das ganze Haus putzen.

Mehrere Tage sei er geblieben. Am zweiten Tag sei es dann passiert. Sie wusste nicht mehr warum, aber ihr Vater war nochmals weggegangen. Ihre Mutter und Norbert waren also alleine im Haus gewesen und sie selbst. Aber die beiden hatten geglaubt, dass sie in ihrem Zimmer sei und spiele. Sie habe sich angeschlichen. Durch den offenen Türspalt habe sie gesehen, wie Norbert versuchte, ihr unter den Rock zu greifen. Frauke denkt wieder an das pornografische Heftchen in der Schublade ihres Vaters. Eines der ersten Bilder. Frau im roten Lederrock, ohne Schlüpfer. Einer der Männer hebt den Rock und streichelt über ihre nackte Scheide. Damals war ihr übel geworden, als sie das Bild gesehen hatte. Fraukes Mutter weicht Norbert aus. Damals in Italien habe es ihr doch gefallen. Seit damals seien nun fast zwölf Jahre vergangen, sagt ihre Mutter.

-- ,,Ich habe es nie kapiert. Mein Vater muste es doch gewusst haben. Er musste wissen, dass Norbert mein Vater war. Aber warum schleppte er ihn zu uns nach Hause? Nach all den Jahren?''

© Bernd Klein