Gerüche und Stimmen

Cutu hielt es für Unsinn. Wenn man seinen Korb verwechselt hatte, wenn man ihn auf ein anderes Schiff gebracht hätte, warum ausgerechnet auf sein eigenes. Wahrscheinlich rochen alle Schiffe gleich oder zumindest würde eine normale menschliche Nase keinen Unterschied wahrnehmen. Klar, die Ladung war etwas anderes, man könnte den Geruch von frischem Holz oder von bestimmten Kräutern unterscheiden. So glaubte Cutu, seit der beißende Gestank von Abdanitus Werkstatt endlich seine Nase verlassen hatte, deutlich den Geruch von neuen Stoffen und Gewändern zu riechen. Er erinnerte sich plötzlich wieder daran, dass seine Mutter immer sagte, wenn irgendjemand in der Familie ein frisches Gewand erhalten hatte, dass sie den frischen Farbstoff riechen könne, dass sie mit geschlossenen Augen die Farbe bestimmen könnte. Besonders leicht wäre es, das Purpur der Purpurschnecke zu riechen. Es stank fürchterlich, wenn sich der gelbliche Schleim dieser Seeschnecke im Licht der Sonne der begehrte Farbstoff entwickelte, wenn sich das Gelb langsam grünlich, dann bläulich und schließlich in Scharlachrot und Purpur wandelte. Früher durfte nur sein Vater eine purpurne Tunika tragen, aber seit er volljährig war, durfte auch er diese Farbe tragen. Wenn ihm seine malträtierte Nase keinen Streich spielte, dann hatte dieses Schiff Kleider und Tücher geladen, ebenso wie Färbemittel. So hatten auch sie nach Fufluna zurückkehren wollen. Auf der Hinfahrt waren sie vollgeladen mit Eisenwaren und Kunstgeschmeide nach Alalia gefahren und Cutu glaubte auch noch den Geruch von Eisen zu riechen, aber dies musste eine Einbildung sein, denn das Eisen musste entladen worden sein. Kein vernünftiger Händler würde den Hafen von Fufluna mit Eisenwaren, außer in unbearbeitetem Zustand anlaufen, denn dort könnte er keine Gewinne machen. Aber über allen Gerüchen schwebte die unbeschreibliche Ausdünstung des Meeres.

Selbst als Cutu in seinem dämmrigen fast dunklen Korb glaubte die Stimme von Mamarche zu hören, -- kurze präzise Kommandos, so dass die Matrosen wussten, was zu tun sei -- hielt er dies für einen Wunschtraum, denn durch die Korbwand hörte sich doch eh alles recht dumpf und verzerrt an.

Cutu wollte sich ganz sicher sein, ansonsten wollte er lieber noch warten, was passierte. Er ging nicht davon aus, dass sie tagelang unterwegs wären bevor sie in einen Hafen einliefen.

griechischer Historiker und Kassiteriden-Inseln [Scilly-Islands] Dennoch fürchtete er sich, dass das Schiff vielleicht doch in unbekannte Gewässer aufbrechen würde. So wie kürzlich der Karthager Himilco, der dem Lauf der Sonne so weit gefolgt war, wie wenige vor ihm. Vorbei an den Städten der Tartessier, durch die Meerenge, weiter dem Abendrot entgegen, zu den Säulen des Herakles. Dann weiter in den dunklen kalten Norden auf der Suche nach dem begehrten Zinn und Blei mit dem Auftrag den Ruhm Karthagos zu mehren. Unerschrocken passierte er die Küsten der Barbaren bis zu den zehn Kassiteriden, den Zinninseln. Nur eine der Inseln ist unbewohnt und auf den andern wohnen Menschen mit schwarzen Mänteln und umgürteten Leibröcken. Inseln aus denen das Zinn und Blei aus dem Boden zu sprudeln schien. Für die in ihren Bergwerken in geringer Tiefe gewonnenen Metalle tauschten sie mit den phönizischen Händlern Häute, Töpferware und Kupfergeschirr, aber auch Salz und seltene Gewürze.

Was wenn dieses Schiff mit einem Wahnsinnigen als Kapitän noch weiter führe. Vielleicht zu den Germanen. Wenn er daran dachte, traute er sich kaum zu atmen. Was wenn er dort aus dem Korb stieg und ihm die Priesterinnen entgegenkämen. Barfüßige, grauhaarige Frauen in feinleinenen weißen Gewändern, umgürtet mit ehernen Gürteln. Er kannte die Gruselgeschichten, von denen niemand wusste, ob sie wirklich stimmten. Die Frauen begrenzten die Gefangenen, um ihnen anschließend über einem bronzenen etwa zwanzig Amphoren großen Kupferkessel die Gurgel durchzuschneiden. So wie sich das Blut, derjenigen, die keine Zukunft mehr hatten, in den Kessel ergoss, konnten sie ihre Waisagungen für die Zukunft machen.

Diese Ängste kamen von seinem Onkel Aranth. Sein Kopf sei voller Bilder sagte er immer, aber Cutu dachte, dass sich in seinem Kopf Horrorgeschichten tummelten. Aranth sog diese Geschichten auf, wie ein trockener Schwamm Wasser.

-- ,,Um zu malen brauche ich ein Schwarz schwärzer als die tiefste Nacht und ein Weiß heller als die Sonne, ein Rot leuchtender als Blut und Feuer.''

Für jede Farbe hatte er einen überschwenglichen Vergleich. Cutu fragte ihn einmal, warum es nicht genüge, dass sein gemaltes Feuer so rot wie die echten Flammen loderte, warum seine Wiese grüner sein soll als alle in der Natur.

-- ,,Die Menschen nehmen es sonst nicht wahr!'', hatte er ihm geantwortet.

Sein Vater sagte zu Cutu, dass sein Bruder schon immer ein Problem mit der Wahrnehmung gehabt hätte. Für Arandt lauerten überall Ungeheuer, Gefahren, Tücken, schlichtweg immer das Böse und Gemeine. Seine Mutter sagte nur, Künstler sähen die Welt intensiver, eindringlicher und erkannten sie Dinge, die anderen verborgen blieben.

© Bernd Klein