Der Sturz

Cutu wünschte, er hätte die Gabe seines Onkels, dann würde er den Zauber des Augenblicks in ein Bildnis fassen. Aber er spürte, dass auch die Künste seines Onkels nicht ausreichten, um das Spiel des Mondlichtes auf dem nackten Körper Thiphilnias in einem Bild zu bannen. Auch sein Onkel wusste um die Grenzen seiner Kunst. Immer wieder schimpfte er über die Farben. Auch wenn niemand, wie er die Farben zu mischen verstünde -- und darauf war er stolz --, so sei er doch nur ein Stümper im Vergleich zur Natur. Dann dachte Cutu, dass es in diesem Mondlicht unter dem Sternenhimmel keine Probleme mit Farben geben würde. Die Schwierigkeit wäre die vielfältigen Schattierungen von Grau. Milchigweiß bis undurchdringliches Schwarz. Wie ein Schwamm saugte Cutu jedes Detail ein, um es nie zu vergessen. Ihr angewinkeltes Bein im Wechselspiel zwischen Licht und Schatten des Mondes, das andere Bein ausgestreckt milchig weiß. Ihre Brüste aus seiner Perspektive dunkle Silhouetten gegen den Mond. Seine Hand ruht auf ihrem Bauch seine Fingerkuppen an ihren dunklen Schamhaaren.

So ruhig wie in dieser Nacht, war die See die ganze Zeit nicht gewesen. Dennoch knarrte und ächzte immer wieder der Rumpf des Schiffes. Und von der Bordwand ist ein kontinuierliches leises Plätschern zu hören, wenn die niedrigen Wellen gegen sie schlagen. Über allem ein abwechslungsreiches Konzert von verschiedenen Schnarch- und Pfeiftönen. Außer Cutu und Thiphulnia wachte nur der Steuermann, aber der konnte solange er seinen Standort nicht veränderte, sie nicht sehen. Sie lagen versteckt von den anderen hinter verschiedenen Kisten und Amphoren.

Jedesmal, wenn jemand sich etwas lauter im Schlaf räusperte oder hustete, fürchtete Cutu, dass jemand aufwachen und aufstehen könnte, und damit ihre romantische Zweisamkeit ein jähes Ende finden könnte.

So glücklich wie in dieser Nacht hatte sich Cutu schon lange nicht mehr gefühlt gehabt. Thiphilnia war anders als andere Frauen, darin war sich Cutu sicher, sie war für ihn nicht nur ein weiterer Zeitvertreib. Mit ihr konnte er sich vorstellen, zusammen zu bleiben. Es irritierte ihn, dass sie plötzlich so sorgenvoll ausschaute. Ob es nicht schön gewesen sei, flüsterte er leise in ihr Ohr. Doch wunderschön, aber es gäbe etwas, was sie ihm bisher verschwiegen hätte. Vielleicht wäre es besser, wenn sie es für sich behalten würde. Dann solle sie es doch für sich behalten, sagte Cutu, aber dann hätte sie nie diese Andeutung machen sollen. Er spürte, dass er es nun wissen wollte, seine Neugierde war geweckt.

-- ,,Andererseits,'', begann Cutu in einem aufmunternden Ton, ,,kann es doch nichts so Schlimmes sein!''

Cutu glaubte im diffusen Mondlicht Tränen in Thiphilnias Augen zu sehen. Er drückte ihre Hand, und sagte, dass es doch nicht so schlimm sein könne.

-- ,,Doch!'', sagte sie.

Sie sei bis zum Schluss bei ihm gewesen, sagte sie nun leise schluchzend und jetzt war sich Cutu sicher, Tränen zu sehen. Wie Perlen glitzerten sie im Mondlicht, als sie ihre Wangen herunterliefen. Zärtlich fing Cutu einige mit seinen Fingerkuppen.

-- ,,Bei wem?'', fragte er.

-- ,,Deinem Vater. ...Ich war bei ihm bis ...bis man, ...mein Mann ...''

Cutu zog erschrocken seine Hand zurück starrte sie entsetzt an.

-- ,,Du?''

-- ,,Nein, ich habe nichts mit dem Tod deines Vaters zu tun!'', wehrte sie sich.

-- ,,Man sagt, es sei mit einer Liebesdienerin zusammen gewesen?''

-- ,,Er war bei mir, aber ich bin keine ...''

Sein Vater sei in ihren Armen gestorben. Sie sei nicht Schuld am Tod seines Vaters, beteuerte sie erneut, so als habe er sie beschuldigt. Sie habe auch nichts damit zu tun. Eine Frau sei doch nicht verantwortlich für ihren Ehemann, fragte sie ihn ängstlich? Sie wisse nicht warum ihr Mann das getan habe. Mit Eifersucht habe es jedenfalls nichts zu tun gehabt. Ihrem Mann sei es schon Jahre lang egal gewesen, was sie tue.

-- ,,Bei so einer Frau? Kann ich nicht verstehen!'', sagte er mehr im Ton einer skeptischen Frage, als dem eines Komplimentes.

Sein Vater sei so etwas wie ein väterlicher Freund gewesen, sagte sie zu Cutu. Flüsternd, aber beinahe schon zu laut, fragte Cutu mit belegter Stimme und man spürte seine Eifersucht:

-- ,,Und mit väterlichen Freunden geht man ins Bett?''

Dann stutzte Cutu, so als habe er erst jetzt verstanden, was sie eben gesagt hatte.

-- ,,Du warst dabei als mein Vater ermordet wurde, und es war ...dein Mann?''

Nach einer Weile sagte Cutu beinahe enttäuscht:

-- ,,Also war es doch ein Mord aus Eifersucht, so wie es Vulca immer sagte!''

-- ,,Nein, war es nicht!''

-- ,,Also dein Mann findet dich in den Armen eines anderen und dann ... dann muss er doch eifersüchtig sein!''

-- ,,Mein Mann hat deinen Vater umgebracht, aber jemand anderes hat ihn dazu angestachelt! Hat ihm von uns erzählt! Mein Mann hatte doch von nichts gewusst!''

-- ,,Und wer hatte ihn aufgehetzt?'', bohrte Cutu.

-- ,,Mein Mann wusste von nichts! ...Also ich meine bis zu dieser Nacht''

-- ,,Das frage ich mich auch, aber es wird wohl ein ewiges Geheimnis bleiben.''

-- ,,Warum?''

-- ,,Weil derjenige, der es wusste, vom Schwert deines ungestümen Cousins zum Schweigen gebracht worden ist.''

Nach Vulcas Schilderung hatte es einen Kampf gegeben. Er hätte spät abends nochmals zu Plecu gemusst. Eigentlich hätte er wegen der späten Stunde gar nicht mehr ins Zimmer gewollt. Aber als er dann schrille Schreie einer Frau gehört hatte, sei er eingetreten. Ein Mann mit einem Schwert, von dem das Blut von Cutus Vater tropfte, sei sofort auf ihn eingestürmt und nur seiner schnellen Reaktion habe er es zu verdanken, beteuerte Vulca, dass er diese Attacke überlebt habe.

-- ,,Es war Notwehr!'', verteidigte Cutu seinen Cousin Vulca, aber in seiner Stimme schwang dennoch unüberhörbar ein Hauch von Frage.

-- ,,Notwehr? Mein Mann hatte sofort sein Schwert fallen lassen. Nach seiner Tat saß er verzweifelt weinend auf dem Boden. Er hatte Vulca überrascht angeschaut. Bezeichnend sind die letzten Worte meines Mannes `Wieso bist du gekommen?' ...''

Thiphilnia zitterte, als erlebte sie alles noch einmal. Dann fügte sie noch hinzu:

-- ,,Hast du dich schon einmal gefragt, wieso Vulca in Begleitung von Soldaten und mit gezücktem Schwert nachts durch den Palast wandert, um deinen Vater etwas zu fragen?''

-- ,,Willst du damit etwa sagen ...''

-- ,,Nur eine Frage!'', unterbrach sie seinen Satz.

Und er könne die Antwort auf diese Frage geben, hörten sie plötzlich Vulcas spöttische Stimme.

© Bernd Klein