Feuerwärts

Vulcas stechende Augen schienen in Cutus Gesichtsfeld gebrannt. Eiskalte Augen starrten Cutu an, als Cutu über dem dunklen tosenden Wasser baumelte und sich seine Finger krampfhaft um die Reling krallten. Augen, die darauf lauerten, dass Cutus Kräfte nachließen. Augen in denen Cutu vergeblich nach Mitleid suchte. Doch dann griff Vulca überraschend nach seinen Unterarmen und Cutu spürt, wie er sein Gewicht übernahm und lockerte seinen eigenen Griff.

Aber dann, als Cutu glaubte, dass er ihn wieder zurück an Bord zöge, blitzte es kurz in Vulcas Augen auf, gefolgt von einem gehässig Lachen. Mit einem kurzen Schwung ließ er ihn fallen, so dass er keine Chance mehr hatte nach der Reling zu greifen. Im Fallen versuchte er vergeblich Vulcas Hände zu krallen.

Für Cutu schien es, als zürnte Artumes wegen Vulcas Missetat. Die Blitze aus Vulcas Augen spiegelten sich nun im schlagartig verfinsterten Himmel. Scheinbar aus dem Nichts kommend hatte sich eine Wolke vor den Mond geschoben. Nein, es war keine Wolke, dachte Cutu. Artumes, die Göttin des Mondes, hatte mit ihrem pechschwarzen Gewand ihr Gestirn verhüllt.

-- ,,Warum hast du die Dinge nicht so belassen, wie sie waren!'', hörte er immer wieder Vulcas Stimme, ,,Manchmal ist es besser nicht alles zu wissen!''

So dunkel und düster war es, dass er das nur wenige Meter entfernte Schiff kaum mehr wahrnehmen konnte, nur vage Konturen. Die anderen Schiffe waren zu weit weg, als dass man sie überhaupt hätte sehen können. Keine Laute mehr, die ein Schiff in der Nähe machen müsste. Kein Ächzendes, knarrendes Holz im Wind, und keinerlei Stimmen, keine aufgeregten Schreie, wie es in der Situation zu erwarten gewesen wäre. Auch wenn nur sein Kopf aus dem Wasser ragte, spürte er plötzlich einen eisigen Wind, der tödliche Atem von Artumes über dem Meer.

Augenblicke später waren auch die Umrisse des Schiffes im dichten Nebel verschwunden und als sich der Nebel mit einem Schlag wie in einem tiefen Atemzug der Göttin lichtete, war auch das Schiff verschwunden. So als habe die Göttin es eingesogen. In wenigen Augenblicken entwickelte sich aus dem Wind ein Sturm mit haushohen Wellen. Cutu fürchtete sich plötzlich nicht mehr, denn nun war er sich sicher, dass Artumes selbst ihn retten würde. Es war als würde sie ihn auf ihren Händen über das Wasser tragen.

So schnell und unvermittelt wie er begonnen hatte, endete der Sturm wieder. Nur ein göttliches Wesen hatte diese Macht, dachte Cutu, der nun wieder das fahle Licht des Mondes im Wasser glitzern sah. Plötzlich war aber auch ein anderes Licht aufgetaucht, nicht mehr Vulcas brennende Augen. Das rötliche, goldene Licht am Horizont versprach Rettung und Wärme, auch wenn es unerreichbar schien. Viel zu schwach und zu klein, als dass es sich um ein himmliches Gestirn handeln könnte. Es musste ein Feuer sein, und dort musste dann auch Land sein. Cutu schwamm mit langsam schwindenden Kräften in Richtung der Lichts.

Cutu spürt kaum mehr die Kälte des Wassers und das Meeresrauschen vernimmt er nur noch dumpf. Artumes Stimme wird lauter. Direkt in seinem Kopf. Eine Stimme wie Musik, Geborgenheit verheißend. Er lässt sie widerstandslos an sich heran. Er ist eh zu schwach um sich zu wehren. Aber statt ihn in einem Akt der Erlösung nach unten ins Reich der Toten zu ziehen, umfasst sie ihn von unten und ihre glühenden Hände umfassen seinen Kopf und halten ihn sicher über dem Wasser. War es vielleicht gar nicht Artumes sondern Alpanu, fühlte er mehr als zu denken. Aplanu die Göttin des Neubeginns. In der Gestalt Thiphilnias.

-- ,,Thiphilnia?'', hauchte er und spürte unter sich Sand und ihre warmen Hände.

© Bernd Klein