Flusstraversen

-- ,,Typisch Wolff'', sagt Frauke, während sich ihre Mundwinkel zusammenzogen und ihre Augenbrauen senkten.

-- ,,Mich wundert, dass die schon drüben sind!'', sagt Gumbrecht.

-- ,,Unsere Strecke war schon ziemlich weit'', wendet Cedrik ein, ,,und im Prinzip hatten die ja alles zusammen für ihr Floss!''

--,,Wie in der Firma, da posaunt Wolff auch immer rum, als wäre er alleine!'', fährt Frauke fort und sie zieht angewidert ihre Mundwinkel nach oben.

-- ,,Unsere Flussüberquerung war auf jeden Fall bequemer gewesen.'', sagt Gumbrecht, der Fraukes Bemerkungen bezüglich Wolff zu ignorieren schien.

-- ,,Also meine Füße sehen das anders!'', entgegnet Cedrik.

-- ,,Meine auch!'', pflichtet ihm Frauke bei.

-- ,,War doch ganz einfach, Man musste doch nur eins und eins zusammenziehen können!'', hören Sie Wolff in der Ferne lachend dozieren.

-- ,,Viel weiter kann der sicherlich auch nicht rechnen!'', sagt Cedrik mit verhaltener Stimme zu Frauke und Gumbrecht.

Frauke bleibt unvermittelt stehen und beteuert, dass sie überhaupt keine Lust habe, zu den anderen zu gehen.

-- ,,Leute wie Cedrik und Gumbrecht sind mit so einer Aufgabe einfach überfordert. Zu praktisch, zu lebensnah!'', höhnt Wolff und das schallende Gelächter der anderen folgt sofort.

-- ,,Ich glaub', ich kratz dem die Augen aus! Wenn der so weiter redet.'', sagt Frauke.

-- ,,Die Zunge rausreißen wäre wohl eher passend!'', sagt Cedrik lachend.

-- ,,Wenn man euch zuhört, könnte man glauben, man ist in einer Mörderbande gelandet!'', sagt Gumbrecht mit einem Stirnrunzeln und beide spüren, dass es, obwohl in erster Linie wohl nur als witzige Bemerkung gedacht war, auch gleichzeitig eine Zurechtweiung war. Für Gumbrecht, der Gandhis Gewaltlosigkeit verinnerlicht hatte, waren auch verbale Grausamkeiten schon eine nicht tolerierbare Form der Gewalt.

-- ,,War doch nicht ganz ernst gemeint!'', beschwichtigt Cedrik, aber Frauke ignorierte Gumbrechts Zurechtweisung und stellt fest:

-- ,,Wenn man Wolff etwas antut, dann ist das immer Notwehr und nicht Mord!''

Plötzlich hören sie ein ,,Cazzo ...Mord ...Mörderbande '' aus dem Dickicht neben ihnen, dass sie erstarren lässt. Einen Augenblick später schält sich die ihnen aus Wolffs Beschreibungen bekannte Gestalt aus dem Blattwerk. Ohne Probleme können sie nun Wolffs Erschrecken nachvollziehen. Cazzo stammelt flüsternd ohne Unterhalt Flüche, die meisten italienisch sind aber auch aus anderen Sprachen zu kommen scheinen. Dabei schaut er sie der Reihe nach an, so als habe er ihnen etwas wichtiges zu erzählen und wolle sich vergewissern, dasss sie ihn auch richtig verstehen. Aber sie können nur einzelne Worte verstehen. Vor allem immer wieder ,,Mord'' und ,,Mörderbande''. -- ,,Unsere Mathematiker und Philosophen haben sich bestimmt verlaufen!'', hören sie Wolffs Stimme erneut aus der Ferne ,,Die sitzen sicherlich noch irgendwo am anderen Flussufer. Gumbrecht gibt Rätsel von Fährmännern mit Booten, in denen nur einer hineinpasst oder so, auf und unser verkanntes Mathegenie versucht zu beweisen, dass der Fluss rein mathematisch gesehen, überhaupt nicht überquert werden kann ...oder topologisch gesehen gar nicht überquert werden muss, da sie in der vierten Dimension mit dem anderen Ufer direkt verbunden sind.''

Sie -- und damit konnte er nur Wolff meinen -- sollten doch mal ruhig sein, hören sie nun Lutz Willachs Stimme. Er glaube etwas gehört zu haben.

Willach sitzt wie die anderen auf einfachen Holzbänken. Nur Wolff steht in der Mitte, so als leite er die Gruppe. Die Bänke sind im wesentlichen grob behauene etwas mehr als ein Meter lange Baumstammteile, die in Form eines Fünfecks unter einem verwitterten Wetterdach angeordnet sind. In der Mitte befinden sich die Überreste einer möglicherweise bereits vor Wochen verloschenen Feuerstelle. Dicke Stämme mit Querverstrebungen tragen das verwitterte Holzdach mit einem Loch über dem Feuer. Ein kegelförmiges Dach wie der Hut eines asiatischen Reisbauern.

© Bernd Klein