Der Vergolder

Garda starrt nach ihren persönlichen Enthüllungen schweigend ins Feuer. Beinahe so als habe sie sich verausgabt. Burbacki betrachtet seine Krawattenspange, die er effektvoll im Feuerschein bewegt. Ein Psychotherapeut wäre sicherlich begeistert, denkt Cedrik. Garda hatte als Kind ihrem Vater nicht helfen können, musste hilflos mit ansehen, wie er mit seinem Job nicht mehr zurechtkam und dann plötzlich alles zusammenbrach. Nun versucht sie stellvertretend für Ihren Vater, andere Menschen vor dem gleichen Schicksal zu bewahren. So wie ihre Gruppe.

Ja, denkt Cedrik, ihre ganze Gruppe waren in den Augen des Managements Versager. Arbeitnehmer, die schon zu lange dabei waren, als dass man sie einfach kündigen könnte. Aber gleichzeitig so unproduktiv, dass man sie so nicht mehr halten wollte.

Die Aufgabe dieses Seminars in der Toskana war es, neue Motivation zu wecken. Ein Wir-Gefühl sollte durch das gemeinsame Erleben aufgebaut werden. Aber Cedrik bezweifelte, ob das zumdindest in seinem Fall so klappen konnte.

Er war ein Vergolder, so hatte ihn damals Baumeister tituliert. Damals in dem Meeting, in dem ihm Baumeister eine schwachsinnige Arbeit aufdrängen wollte.

-- ,,Ich kann das nicht machen! Ich bin noch für die Franzosen beschäftigt!'', hatte sich Cedrik damals gewehrt.

Die Franzosen, damit war die Logitelle gemeint. Einer ihrer wichtigsten Kunden mit einem millionenschweren Projekt.

-- ,,Aber ihre Arbeit ist fertig!'', sagte Baumeister.

Cedrik hatte ihn darauf hingewiesen, dass sein Programm noch lange nicht fertig sei. Es fehlten noch viele extrem wichtige Funktionen.

-- ,,Features, die der Kunde überhaupt nicht nachgefragt hat und nicht braucht!'', entgegnete ihm Baumeister.

Er sehe das anders, wehrte sich Cedrik. Es fehlte noch wesentliche Komponenten, die der Kunde dringend benötige!

-- ,,Sie mögen zwar ein excellenter Entwickler sein, aber als Kaufmann sind sie eine Niete!'', erboste sich Baumeister und fügte dann hinzu ,,Warum freiwillig einem Kunden eine zusätzliche Leistung bringen, die er noch nicht bestellt hat, und wir deshalb auch nicht bezahlt bekommen!''

Und er möge vielleicht ein excellenter Schwätzer sein, aber von Entwicklung habe er nur soviel Ahnung, wie ein Bock vom Gärtnern, brannte es Cedrik auf den Lippen. Die Kraft, die es brauchte, sich zurückzuhalten und seine Wut nicht derart zu verbalisieren, bezog er aus seiner Sorge um seinen Arbeitsplatz. Vor allem nicht zu dieser Zeit, wo bereits viele IT-Spezialisten arbeitslos waren.

Aber auch wenn Cedrik sich zurückgehalten hatte, schaute ihn Baumeister mit einer derartigen Wut und Geringschätzung an, dass es Cedrik vorkam, als habe er seine Gedanken gelesen. Vielleicht konnte Baumeister auch seine Verachtung ebenso ablesen. Einem geistigen Zwerg war die Richtlinienkompetenz in ihrer Firma übertragen worden. Entwicklung à la Baumeister, das heißt Flickschusterei. Mittelfristige und langfristige Konzepe sind für ihn Zeit und Geldverschwendung. Leute wie Cedrik verachtet er als Theoretiker, die nicht verstehen, worauf es ankommt. Gute Entwickler in den Augen von Baumeister packen an, wo es brennt. Eine Gehaltserhöhung wurde Cedrik verweigert, weil er keine Feuerwehreinsätze hätte, wie Baumeister sagte. Und Feuerwehreinsätze, das waren Überstunden und Wochenendarbeit, an denen, wie es Cedrik sah, ,,Quick-and-Dirty''-Lösungen für Kunden in Eile und Hast geschmiedet wurden. In Cedriks Augen waren diese Feuereinsätze, wie eine Hydra. Für jedes Problem, was oberflächlich gelöst wurde, wurde der Grundstock für mindestens zwei neue Probleme geschaffen.

-- ,,Ihr Programm ist fertig!'', postulierte Baumeister damals in der Besprechung und Cedrik ebenso wie die anderen spürten, dass er sich zurückhielt nicht zu schreien. ,,Sie können nun Dr. Wolff zuarbeiten!''

Cedrik hasste diesen Begriff. Zuarbeiten hieß, dass er die Arbeit machte und Wolff die Lorbeeren erntete. Ausgerechnet Wolff. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte zu Baumeister gesagt, dass er seinen Scheiss alleine machen könne. Er kündige.

-- ,,Übernehmen Sie dann die Verantwortung, dass dann die Logitelle ein nicht ausgereiftes Programm erhält?'', giftete Cedrik, als spreche er nicht mit dem Entwicklungsleiter.

-- ,,Es stimmt, was man über sie sagt!'', sagte Baumeister, während er Cedrik abschätzig anschaute und Wolff zunickte, ,,Sie sind ein Vergolder! ...Wir sollten das Vergolden der Kirche überlassen! Wir müssen Geld verdienen! ... Aber das geht Entwicklern wohl nicht in die Köpfe!'', wobei er nun auch Gumbrecht strafend ansah.

Niemand traute sich mehr etwas zu entgegnen, so dass Baumeister mit seinem Monolog fortfuhr. Vergolden das sei aus kaufmännischer Sicht ebenso schlimm wie Faulenzen. Er wisse, dass manche Leute, gewissermaßen illegal, sinnlose Tools entwickelten, die niemand beauftragt habe.

-- ,,Grundsätzliche Tools!'', verteidigte sich Cedrik, ,,Tools die aus Sicht der Entwicklung sinnvoll sind!''

Mit ,,Sicht der Entwicklung'' hatte er den Entwicklungsleiter direkt gemeint. Baumeister kümmerte sich -- nicht nur nach Cedriks Meinung -- zu sehr um das Tagesgeschäft.

-- ,,Solche Tools garantieren, dass wir auch morgen noch konkurrenzfähig sein werden!''

-- ,,Und wer bestimmt was sinnvoll ist?'', sagte Baumeister dessen Kopf mittlerweile einem roten Ballon glich.

-- ,,Meistens Leute die keine Ahnung haben!'', murmelte Cedrik.

Baumeister redete weiter und tat so, als habe er Cedriks Bemerkung nicht gehört.

-- ,,Wenn jeder Entwickler für sich selbst entscheidet,'', was wichtig und nicht wichtig ist, dann herrscht Anarchie!''

-- ,,Und wenn keine Entscheidungen von oben fallen, die lebensnotwendig für die Entwicklung sind, dann herrscht Stillstand!'', wehrte sich Cedrik, dem es mittlerweile egal war, ob er sich damit um seinen Job bringen konnte.

-- ,,Wissen Sie eigentlich, dass solche Arbeiten ein Kündigungsgrund sein können?'', tobte Baumeister.

-- ,,Und wissen Sie'', wehrte sich Cedrik ,,dass es Firmen gibt, die ihre Mitarbeiter kündigen würden, wenn sie nicht mehr spielen würden!''

Es wirkte als ringe Baumeister nach Luft und Gumbrecht fühlte sich genötigt Cedrik zu verteidigen.

-- ,,Mit `Spielen' meint er nicht wirklich spielen sondern irgendwelche komplizierten wichtigen Tools entwickeln, die nicht direkt von Kunden ... ''

-- ,,Danke!'', sagt er zu Gumbrecht ,,aber ich brauche keinen Übersetzer! Für mich ist das Spielen! ...Sind denn hier alle verrückt geworden?'', brüllte Baumeister.

Sein ,,ich nicht'' stand Wolff auf der Nasenspitze, aber er traute es sich nicht zu sagen.

-- ,,Sagen sie mir eine Firma, die will, dass ihre Mitarbeiter spielen statt arbeiten!'', fragte Baumeister Cedrik.

-- ,,Google! Jeder Mitarbeiter darf oder muss sich sogar 20 % seiner Arbeitszeit mit anderen Dingen beschäftigen als seiner normalen Arbeit.''

-- ,,Google, ja. Die können sich das ja auch leisten, die schwimmen im Geld!''

-- ,,Die können es sich leisten, weil sie es sich leisten!'', sagte Cedrik und fuhr fort, ,,in diesen 20 % entstehen häufig wertvollere Ergebnisse für Google als in der regulären Arbeitszeit.

-- ,,Nur 20 %'', spöttelte Baumeister sarkastisch und schaute Gumbrecht und Cedrik wechselseitig an, ,,Das wäre aber für einige Mitarbeiter bei uns ein richtiger Rückschritt. Von 80 auf 20!''

© Bernd Klein