Gumbrechts Erwachen

Mit einer tiefgehenden Erkenntnis war er an diesem Morgen aufgewacht. Eine, die viele andere, auch diejenigen die normalerweise nicht unter Niedergeschlagenheit leiden, in eine tiefe Depression gestürzt hätte. Nicht so Eva. Beim Aufwachen stand für ihn fest: ,,Ich bin ein Versager!''

Eva ist keine Frau, und eigentlich heißt er auch nicht Eva. Cedrik Dumotel hatte seinem Chef, der laut Ausweis Torsten Gumbrecht heißt, diesen Spitznamen verpasst. Dieser Name war aus Cedriks ständigem Ärger über seinen Vorgesetzten geboren. Lange Jahre als Abteilungsleiter hatten ihn in einem kompromisslosen Diskutanten geschmiedet. Auch wenn er nur ein Chef auf niedrigster Stufe ist, war es ihm wie fast allen Machtmenschen ergangen. Wenn man umgeben ist von Menschen, die einem ständig Beifall zollen, -- auch wenn man den größten Unfug von sich gibt, -- weil die von einem Abhängigen sich persönliche Vorteile erhoffen oder Nachteile befürchteten, wird es zunehmend schwierig, selbstkritisch zu sein oder zu bleiben. Falsches Lob und fehlende Kritik führen nahezu zwangsläufig bei den meisten Machtmenschen zu einer chronischen Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und des eigenen Wissens. So auch bei Gumbrecht. Auch wenn Gumbrecht zu den freundlichsten und umgänglichsten Vorgesetzten der iBS gehört.

Gumbrecht unterscheidet sich deutlich von anderen Chefs. Will ein normaler Chef einen Mitarbeiter mit einer neuen Aufgabe betrauen, so geht dies in der Regel ziemlich direkt. Erst ein Anruf bei dem Mitarbeiter, ob er mal gleich oder zu einem bestimmten Termin Zeit habe, sich mit ihm zu unterhalten. Dann im Gespräch heißt es, je nach Charakter des Chefs: ,,Ich habe'' oder ,,Ich hätte eine neue Aufgabe für Sie!'' oder ,,Es ist notwendig, dass Sie sich in Zukunft im Projekt xab einbringen!'' Immer ist klar, dass man nur schwerlich ablehnen kann.

Ganz anders bei Gumbrecht. Nehmen wir an, er hat ein Projekt von dem er überzeugt ist, dass nur Cedrik Dumotel es machen kann und soll. Meistens vereinbart er keinen Termin. Scheinbar zufällig trifft er ihn dann auf dem Flur oder beim Kaffee holen. Verwickelt ihn in ein interessantes Gespräch, was meistens kaum einen Bezug zur Arbeit hat, und lotst ihn dann in sein Büro, um ihm dort etwas zu zeigen, meist etwas, was noch nicht einmal etwas mit dem eigentlichen Thema oder überhaupt mit der Firma zu tun hat. Scheinbar zufällig mischt er dann in die Unterhaltung, dass es da eine interessante Aufgabe gäbe. Nehmen wir an, die Aufgabe interessiere Cedrik nicht. Er überhört also geflissentlich Gumbrecht und bleibt beim alten Thema. Statt Cedrik nun direkt zu fragen, geht Gumbrecht behutsam weiter vor.

-- ,,Ich dachte, vielleicht kennen Sie jemand, der geeignet wäre diese Aufgabe zu übernehmen?'', würde er fast standardmäßig fragen.

-- ,,Frauke Gortsworst vielleicht?''

-- ,,Glauben Sie?'', könnte Gumbrecht entgegnen und seine Enttäuschung wäre spürbar.

-- ,,Was die Programmierung betrifft ja! Aber ansonsten ist die Sache zu mathematisch für sie. Das müsste am besten jemand machen, der auch Mathematiker ist.''

-- ,,Genau!, das denke ich auch! Jemand der richtig gut ist und komplexe Probleme knacken kann'', legte er dann seinen Köder, auf den dann Cedrik anbeißen müsste.

-- ,,Ich könnte es machen, aber ich bin noch mit ...''

-- ,,Finde ich toll, dass Sie das gerne machen würden! Einen Besseren gibt es wirklich nicht! Ich hätte mich gar nicht getraut sie direkt zu fragen, da sie ja wirklich so viel zu tun haben!''

Für Gumbrecht hat dieses Vorgehen generell den Vorteil, dass er, wenn sich im Laufe des Gespräches zeigte, dass seine Erscheinung nicht richtig war, einfach das Thema wechseln konnte. Er hatte nichts verlangt und konnte so nie sein Gesicht oder seine Autorität verlieren. Er hatte keine Anordnung gegeben, die er wiederrufen musste. Für den oder die Mitarbeiterin hatte es den Vorteil, dass Gumbrechts Vorgehen die Illusion der Freiwilligkeit erzeugte. Man sagt selbst zu, eine Aufgabe zu übernehmen. Man bekommt sie nicht übertragen. Ja man bittet seinen Chef sogar, die Aufgabe machen zu dürfen. Man ist kein Befehlsempfänger sondern ein Individuum, was zwischen Alternativen wählen kann. Aber Gumbrecht wäre schon lange kein Chef mehr, wenn er im Falle einer indirekten Ablehung nicht beharrlich bliebe. Irgendwann würde er dennoch, so wie jeder andere Chef auch, sagen, dass er oder sie die Aufgabe machen müsste. Aber das war im Laufe seines langen Arbeitslebens nur selten notwendig gewesen.

Aber trotz seiner sanften Methoden und obwohl er nicht zu Jähzorn neigt und vor allen Dingen nicht rachsüchtig ist, hat auch er das Problem, so wie andere Chefs, dass ihm meist nur sehr zaghaft und zögerlich widersprochen wird. So, dass er die Einwände direkt per Autorität wegdiskutieren kann. Wenn er ein unmögliches Ziel vorgibt, eines welches mathematisch und algortihmisch zum Scheitern verurteilt ist, ein Ziel, welches unter Kollegen mit einem ,,So ein Blödsinn'' oder ,,hirnrissig'' klassifiziert wird, hört er oft keine Widerrede oder wenn doch, dann zaghafte Formulierungen wie ,,Glauben Sie wirklich, dass das so machbar ist?'', ,,Könnte es nicht sein, dass vielleicht ...'' oder sogar ein ,,Ich denke, dass es Probleme geben könnte.'' Aber was soll ein Mitarbeiter sagen, wenn Gumbrecht sagt, dass es genau so sei, wie er es sehe. Wenn er indirekt behauptet, dass jeder der es anders sehe, nicht tief genug in der Materie sei. Wie die Höflinge von Hans Christian Andersens ,,Des Kaisers neue Kleider'' traut sich dann niemand zu widersprechen, und manche bejubeln dann sogar nackte substanzlose Ideen. Gumbrecht sagt oft nur ,,Denken Sie mal nach!'' und keiner mit Ausnahme von Cedrik antwortet ihm, dass er, Gumbrecht, nochmals nachdenken müsse, denn er habe es nicht verstanden und sich verrant. Sie beugen sich dann seiner Position, denn welcher Angestellte verdirbt es sich gerne mit seinem Chef. Wenn Cedrik an Gumbrechte denkt, denkt er automatisch auch an die Phrase ,,Er weiß Alles besser!''. Beinahe zwangsläufig bildete sich daraus - übrigens ganz in der Firmentradition -- das für Gumbrecht wenig schmeichelhate Akronym ,,Ewa Besser'' heraus. Was nahezu zwangläufig zu Ewa bzw. Eva wurde.

Die meisten wissen, wann es besser ist, einer Diskussion mit Eva aus dem Weg zu gehen. Nur Cedrik nicht. Cedrik, -- der, was Mathematik und Informatik betrifft, in einsamen Höhen schwebt, -- liefert sich mit ihm immer wieder unerbittliche Diskussionen. Diskussionen, wie sie zwischen Mitarbeiter und Chef unüblich sind. Wenn Cedrik auf einem Standpunkt verharrt, hat er Recht. Dann geht es um Sachen, denen unumstößliche mathematische Beweise zugrundeliegen. Cedrik diskutiert manchmal derart hart mit Gumbrecht, dass sich die meisten sicher sind: Bei einem anderen Chef wie Gumbrecht hätte Cedrik schon längst seinen Job verloren. Und viele sind sich sicher, dass sie selbst, wenn sie sich das gleiche herausnähmen, ihren Job auch bei dem milden und überaus menschenfreundlichen Gumbrecht verlören. Aber Cedrik hat so etwas wie Narrenfreiheit oder die Freiheit des Genies.

Aber an diesem Morgen in der Toskana gab es eine radikale Umkehr in Gumbrechts Selbsteinschätzung. ,,Ich bin ein Versager!'' war der Satz, der schon beim Aufwachen wie ein schlechter Geschmack im Mund auftauchte, der in der Dusche mit dem Wasser auf ihn herab zu rieseln schien, der beim Frühstücken den Kaffee bitter zu machen schien und die Marmelade zu süß erschienen ließ. Aber er versuchte die Erkenntnis auch nicht zu verscheuchen, vielmehr hegte und pflegte er sie wie einen wertvollen Schatz. Andere würde eine solche Einsicht niederschmettern, aber Gumbrecht ließ keine Enttäuschung und Frustration hochkommen und hegte stattdessen einen Besitzerstolz auf seine neue, wie ihm schien philosophische Erleuchtung. So wie der berühmte griechische Philosoph, lange vor seiner Zeit, der das Nichtwissen auf höchstem Niveau pflegte und es in sein sprichwörtliches Paradoxon münzte. So glaubte auch Gumbrecht als begabter Hobby-Philosophh schon lange zu wissen, dass er nichts wisse, aber -- das erfüllte ihn mit Besitzerstolz -- auf höchsten Niveau. Nichts zu wissen und doch mehr als die meisten anderen, das war eine alte Erkenntnis für ihn. Aber nun war ihm klar geworden, dass nicht nur er, sondern auch alle anderen Versager seien. Der Mensch ist zum Versagen verdammt, denkt Gumbrecht mit einem leichten Anflug von Selbstmitleid, während er die wunderbare Aussicht vom Seminarraum über das Meer genießt.

Ihre Firma hat sie zu einem Seminar in die Toskana geschickt. Eine bunte Truppe von Versagern, denkt Gumbrecht, wird mit einem einwöchigen Aufenthalt in einem edlen Hotel in der Toskana belohnt. Nicht nur Versager sondern auch Faulenzer waren sie, die der Firma nicht mehr das an Arbeitsleistung gaben, was sie eigentlich könnten. Gumbrecht ist sich aber bewusst, dass die anderen Gruppenmitglieder dies anders sehen. Sie betrachten sich als wahre Leistungsträger der Firma, und dieser Aufenthalt stellt für sie die krönende Anerkennung für ihre hervorragende Arbeit dar. Auch er sieht einen Unterschied. Während die anderen wirkliche Versager seiner Meinung nach sind, ist er nur in den Augen der Firma ein Versager. Er fühlt sich als Ideenlieferant, als einer der der Firma Perspektiven gibt. Seine Arbeit zahlt sich also immer erst langfristig aus. Manchmal auch gar nicht, war ein Gedanke, den er sofort verscheuchte. Aber Leute wie ihr Entwicklungsleiter, Baumeister, und die Geschäftsleitung denken nur in schnellem Geld und nicht langfristig.

Auch wenn Gumbrecht den Spitznamen Eva hat, so hat er dennoch nichts Weibliches an sich. Allerdings ihn einen ganz normalen Mann zu nennen, wäre wohl auch eine Irreführung. Eva wirkt meist völlig vergeistigt und scheint in anderen Sphären zu schweben. Ein Geisteswesen, welches zufällig in einem männlichen Körper gefangen scheint. Während andere, also ,,richtige'' Männer, sich für Fußball, teure Autos und schnelle Motorräder interessieren, vergnügt sich Torsten Gumbrecht, nicht nur in seiner Freizeit, mit Philosophen, Poeten und Geschichtsschreibern des klassischen Altertums. Während echte Kerle ihre Körper ehrgeizig in sportlicher Betätigung stählen, um dann ihre Muskeln narzistisch dem sogenannten schwachen Geschlecht zur Schau zu stellen, hält sich Gumbrecht, was Sport betrifft an Churchills ,,No sports'' oder ,,Sport ist Mord''. Aber obwohl Gumbrecht nie Sport treibt, nie getrieben hatte,-- außer in der Schule gezwungener Maßen -- wirkt er sportlich und kann, obwohl er bereits ein paar Jahre jenseits der 50 ist, mit einem jugendlichen Auftreten aufwarten. Was wahrscheinlich unter anderem daran liegt, dass er sich auch von jener anderen, weit gefährlicheren Gruppe von Männern fernhält. Diejenigen, die ihre von Nikotin und Teer vergifteten und von Alkohol aufgeschwemmten Leiber kraft ihres männlichen Willens zur Stammkneipe lotsen, um dann schwankend auf dem Nachhauseweg, sich schicke Autos, athletische Körper und attraktive sie anhimmelnde Frauen erträumen.

Diejenigen, die Gumbrecht kannten, waren sich sicher, dass es keine eiserne Disziplin war, die seine Blicke nie bewusst auf Busen, Po oder Beine von Frauen abschweifen ließen. Streifte sein Blick dennoch über weibliche Formen, dann war es klar, dass es blanker Zufall war. Der gleiche Blick mit dem er Momente vorher über die Ordner des Aktenschranks, über die Ablage auf dem Schreibtisch oder über den Wandkalender gewandert war. Die drei Buchstaben der iBS, der Firma der Gumbrecht und die anderen Seminarteilnehmer angehörten, standen offiziell streng der neudeutschen Mode folgend für ,,intelligent business solutions'', aber inoffiziell für ,,immer Busen und Sex''. Die Frauen nannten sie so, weil ihrer Meinung nach ihre männlichen Kollegen nichts anderes im Kopf hatten, und die meisten Männer liebten den Namen, weil es stimmte, was die Frauen von ihnen dachten. Wie in jedem Betrieb oder in jeder Gruppe von Menschen brodeln in den zwischenmenschlichen Kontakten konstant Spekulationen und Mutmaßungen, die kollektiv zu spannenden Gerüchten verwoben werden. Sollte A wirklich mit B? Nein, dass hätte ich von G nicht gedacht. Dabei wirkt sie so als könne sie kein Wässerchen trüben.

Auch Gumbrecht hat den Ruf kein Wässerchen trüben zu können. Wie das gutgläubige Schaf in Äsops Fabel sich stromabwärts vom Wolf tränkte, so war Torsten Gumbrecht fern von der Gerüchteküche, aber wie Salz und Pfeffer waren Spekulationen um seine Person nicht wegzudenken. Auch wenn es viele versuchten, so hat es nie eine Frau geschafft, ihm den Kopf zu verdrehen und an Versuchen mangelte es nicht, denn in der iBS gab es Dutzende ledige, geschiedene und verwitwete Mitarbeiterinnen, die auf Partnersuche waren. Ein Abteilungsleiter, wie Gumbrecht, zwar kein Adonis aber dennoch nicht schlecht aussehend, der im übrigen sicherlich eine Menge Geld gespart hatte, war für viele eine Traumoption. Aber auch wenn immer wieder einige ihr Glück bei ihm versuchten, schien er komplett immun gegen ihre Flirts zu sein. Jegliche Annäherungsversuche würgte er mit schier endlosen Monologen über mathematische Probleme oder Exkursen in die Antike ab. Da half es nichts, wenn eine Dame mehr Bein zeigte oder ihren Busen optimal präsentierte, Gumbrecht dozierte weiter, als spreche er zu einem vollen Hörsaal.

Auch wenn es immer wieder in den Gerüchtetopf geworfen wurde: Niemand glaubte ernsthaft daran, dass er schwul sein könnte. Denn auch für männliche Reize war er ebenso unempfänglich. Ein sogenannter verkappter Schwuler war für manche die Lösung des Problems. Ein Homsexueller, der sich seiner Neigung nicht bewusst war oder sie konsequent unterdrückte. Manche bewundern ihn, weil er es geschafft habe, sich aus den Niederungen der fleischlichen Lust zu befreien; andere bemitleiden ihn, weil er nicht wisse, was er sich entgehen ließe.

Für Cedrik ist sonnenklar an diesem Morgen mit wolkenlosem Himmel über dem tyrrhenischen Meer, dass Thorsten Gumbrecht wieder seinen ,,Ich weiß alles''-Blick drauf hat. Cedrik Dumotel würde es nicht wundern, -- im Prinzip erwartet er es sogar, -- wenn sein Chef sich plötzlich von seinem Platz erheben würde und das Seminar, an dem er nur ein gewöhnlicher Teilnehmer, wie alle anderen war, einleiten würde. So, wie er ihn in zahlreichen Abteilungsbesprechungen kennengelernt hatte. Besprechungen die sich meistens wegen Gumbrechts schier grenzenloser Lust am Reden scheinbar endlos in die Länge zogen. Cedrik hatte dafür einen neuen Begriff gebildet, der sich schnell großer Beliebtheit in der Firma erfreute: Rhetomanie, der zwanghafte Drang zum Reden auf kunstvollem Niveau. Aber mehr als glänzende Rhetorik war es häufig nicht, was Gumbrecht von sich gab. Auch wenn er, selbst in den Augen Cedriks einfallsreich und scharfsinnig war und schnell die wesentlichen Aspekte eines Problems erkannte, war er dennoch anscheinend blind für die Grenzen seines Verständnisses. Er mischte sich in Dinge ein, die er nicht verstehen konnte. Gumbrecht verwickelte Cedrik allzu häufig in fruchtlose Detaildiskussionen und versuchte ihm, obwohl er die Problematik nur unzureichend verstanden hatte, nie richtig verstehen könnte, darzulegen, wie er bei der weiteren Algorithmenentwicklung vorzugehen habe. Störrisch beharrte Gumbrecht dann auf mathematisch unhaltbaren und widersprüchlichen Forderungen und stellte Cedrik dabei gleichzeitig hin, als sei er derjenige, dem das mathematische Verständnis fehle. Einmal hattee Cedrik Gumbrecht auch schon vor versammelter Abteilung bloßgestellt. Gumbrecht hatte in einer Abteilungsbesprechung darauf bestanden, dass Cedrik ein bestimmtes Problem algorithmisch lösen solle, welches bewiesenermaßen als unlösbar gilt. Cedrik brach die Diskussion ab, indem er Gumbrecht sagte, dass er erst wieder mit ihm darüber reden würde, wenn dieser die entsprechende Fachliteratur gelesen und verstanden hätte. Gumbrecht machte weiter mit anderen Themen, als sei nichts vorgefallen und das Gelächter der anderen schien er so zu deuten, als amüsiere man sich über Dumotels Starrköpfigkeit. Cedrik kannte seinen Chef genau und wusste, dass dieser nicht so schnell aufgeben würde. Dennoch war Cedrik überrascht, als Gumbrecht ihn nur wenige Tage später mit einer bitteren Wahrheit konfrontierte. Es sei ihm gelungen, hatte sein Chef geschwärmt, Prof. Bellinger mit ins Boot zu bekommen. Cedrik spürte die Enttäuschung seines Chefs, als die Begeisterung nicht auf ihn übersprang. Auch dieser Prof. Bellinger wäre nicht in der Lage den Brown-Taschinen-Algorithmus praxistauglich zu machen, entgegnete Cedrik seinem Chef. Wenn das so wirklich so sein sollte, sagte Gumbrecht mit einem versöhnlichen Lächeln, dann würde das eben das Ergebnis der Bellinger-Studie sein. Davon ginge er aber nicht aus.

-- ,,Ich fürchte eher, dass man diesen Prof. Bellinger mit den falschen Fragestellungen füttern wird und dann kommt natürlich auch ein unsinniges also unbrauchbares Ergebnis heraus!''

-- ,,Dann wird es ihre Schuld sein!''

-- ,,Wieso meine Schuld?'', hatte Cedrik überrascht und beinahe wütend gefragt.

-- ,,Ich dachte mir, dass Sie der Richtige sind, den Auftrag für Bellinger zu spezifizieren!''

Cedrik glaubt im Gesicht seines Chefs zu erkennen, dass dieser zu wissen glaube, wie das Seminar zu laufen habe, bevor es überhaupt begonnen hatte. In Gumbrechts Mimik sah er eine Mischung von Unzufriedenheit und Selbstsicherheit.

Cedrik hatte Gumbrecht in einer Hinsicht richtig gedeutet. Gumbrecht würde am liebsten sein ,,Wir sind alle Versager!'' dem Kurs als Motto vorausgestellt. In Gumbrechts Kopf schallt Wolffs imaginäre Antwort: ,,Sie vielleicht, aber ich nicht!''

Aber Wolff ist noch nicht da. Cedrik, ebenso wie die anderen, ärgert sich, dass Wolff als einziger noch nicht im Seminarraum war. Er würde wieder zu spät kommen. Wolff kam prinzipiell zu allen Besprechungen und Veranstaltungen zu spät. Das alleine war schon schlimm genug, findet Cedrik, aber während die meisten anderen sich in solchen Situtionen verlegen hineinschlichen, nutzt Wollf immer solche Gelegenheiten, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Mit Bemerkungen wie, ,,der Entwicklungsleiter geht halt vor'' oder ,,wenn die Geschäftleitung ruft ...'' hob er dann die eigene Bedeutung hervor und setzte damit die anderen herab. Cedrik stellte ihn einmal bloß. Baumeister sei doch in den USA, wunderte sich Cedrik laut, als Wolff behauptete ein Gespräch mit ihm geführt zu haben. Wolff wirkte für einen Augenblick geschockt, alle glaubten, dass man ihn endlich einer offensichtlichen Lüge überführt hätte, aber dann sagte er, dass er mit Gespräch natürlich ein Telefonat gemeint habe.

-- ,,Nachts um drei?'', bohrte Cedrik damals nach.

-- ,,Ja, ja, Baumeister hat Probleme mit der Zeitumstellung!''

Als Wolff dann noch ein ,,Baumeister konnte nicht schlafen und hat mich halt angerufen!'', war sich Cedrik nicht mehr sicher, ob er vielleicht doch die Wahrheit gesagt hatte.

Wolff ist nicht nur ein Faulenzer, sondern auch ganz objektiv gesehen dumm, denkt Cedrik. Diese Einschätzung hatte nichts damit zu tun, dass ihm Wolff, seit er der iBS beigetreten war, immer ins Gehege gekommen war und dass Wolff den Entwicklungsleiter Baumeister um den Finger wickeln konnte. Baumeister war vom ersten Tag von Wolffs Schleimereien und Eigenlob verblendet gewesen. Dass Baumeister einem Scharlatan wie Wolff auf den Leim ging, konnte Cedrik nachvollziehen, aber dass auch ein intelligenter Mensch wie Gumbrecht auf ihn hereinfallen konnte, war ihm unerklärlich.

Einmal in einer recht lockeren Unterhaltung, die mit allgemeinen Dingen und wenig mit der Firma zu tun hatte, schockte ihn Gumbrecht, als er auf Wolff zu sprechen kam.

-- ,,Dr. Wolff ist ein Glücksgriff für unsere Firma, nicht wahr?''

Cedrik verlor sofort die Fassung. Auch wenn er oft mit seinem Chef Meinungsverschiedenheiten hat, hält er ihn für einen intelligenten Menschen, sogar für einen der intelligentesten nach ihm in der Firma. Ein Verstandesmensch wie Gumbrecht musste doch solche Typen wie Wolff durchschauen.

-- ,,DOKTOOOR Wolff ist ein promovierter Blender!'', platzte es daraufhin aus Cedrik. ,,Ein Schaumschläger! Noch dazu ein mistfauler!'',

Bei seiner Antwort glaubte Cedrik so etwas wie verhaltene Begeisterung oder Zustimmung in Gumbrechts Blicken und Gestik zu sehen. Cedrik glaubte sogar, dass Gumbrecht genau diese Reaktion von ihm hatte provozieren wollen.

-- ,,Glauben Sie nicht, dass Sie mit diesem Urteil ein wenig zu hart sind?'', beschwichtigte ihn Gumbrecht daraufhin freundlich lächelnd.

Dann wechselte Gumbrecht das Thema, aber Cedrik war sich sicher, dass dieses ,,ein wenig zu hart'' eine Zustimmung bedeutete. Er war sich plötzlich sicher, dass sein Chef seine Antipathie gegen Wolff teilte.

Cedrik, der Meister der Akronyme, hatte Wolffs Doktortitel in Dog-Tor gewandelt. Dog hatte nichts mit Hund zu tun, woran man bei seinem Namen wohl denken könnte. Nein, es war keine Anspielung auf gezähmter Wolf oder so, sondern laut Cedrik stand es für ,,Doktor ohne Gehirn'' und Tor stand für ,,törichter Mensch''. Aber dieser Spitzname hatte sich trotz Cedriks Bemühungen nicht durchsetzen können. Aber die meisten sprachen von Wolff nur vom ,,Doktor''. Aber in abfälligen Betonungen, die keinen Zweifel ließen, dass man in seinem Fall nichts von diesem Titel hielt. Cedrik hatte versucht, ihm den Namen ,,WWW'' zu verpassen. Aber auch sein ,,Wolff weiß wenig'', wofür die drei Buchstaben standen, konnte sich nicht durchsetzen. Außerdem erschien es Cedrik als schiere Übertreibung Wolff ,,wenig'' Wissen zuzusprechen. Gumbrecht und Wolff waren beide gleichermaßen rechthaberisch und glaubten alles besser zu wissen als andere, aber während es in Gumbrechts Fall häufig stimmte, war es bei Wolff das Gegenteil.

Auch Gumbrecht kommt mit Wolff nicht klar. Gumbrecht hasst vor allen Dingen die Art wie Wolff häufig diskutiert. Gumbrecht liebt es Dinge auszudiskutieren. Er legte Wert darauf, dass sich die anderen Diskutanden seinen Argumenten beugten und nicht nur zustimmten, um ihre Ruhe zu haben. Wolff machte Eva rasend, wenn er seinen Kopf in Diskussionen zur Seite neigte, wenn er seine Augen schloss oder die Pupillen zur Decke drehte, während andere ihre Argumente vorbrachten, oder wenn Wolff mit Bedacht an den Gesprächspartnern vorbei ins Leere starrte und dabei Langeweile und Geringschätzung signalisierte. Dann sagte Wolff meist nur, dass er das nicht so sehe, ohne auf die Argumente einzugehen. Sein bestes Gegenargument war meistens ,,Auch Baumeister sieht es so und der muss es schließlich als Entwicklungsleiter wissen!'' und dann war klar, dass Baumeisters Meinung für Wolff Axiom und Dogma war. Wenn Baumeister sagen würde, dass die Erde flach sei, dann wäre sie es.

An diesem Morgen in der Toskana ist für Gumbrecht der Fall klar. Wolff ist ein Musterbeispiel für einen Prokrastinator. Oder sollte er Wolff besser als gewöhnlichen Faulenzer bezeichnen. Prokrastination ist mehr als Faulheit, denkt Gumbrecht, denn er will sich selbst schützen. Ein Prokrastinator ist ein Dieb, ein Zeitdieb stand in dem Artikel. ,,Morgen, morgen, nur nicht heute ...'' stand als Untertitel unter der Überschrift des Artikels, den er am Vorabend gelesen hatte, und die drei Punkte standen für die bereits Kindern vertraute Fortsetzung des Spruchs. Bisher hatte sich Gumbrecht selbst keineswegs als Faulenzer gesehen, auch wenn er manchmal tagelang nicht das machte, was von ihm in der Firma erwartet wurde. Er sah dies als kreative Zerstreuung an, denn daraus erwuchsen meist fantastische Ideen zum Wohle der Firma. Fantastereien in den Augen seiner Mitarbeiter, aber diese Einschätzung nahm Gumbrecht natürlich nicht wahr. Er war sich sicher, dass er kein fauler Mensch sein konnte, denn so einer interessiert sich für nichts, verschiebt immer wieder nahezu alles auf den nächsten Tag und wartet gelangweilt darauf, dass es Abend wird. Wenn Gumbrecht aufschob, so lag das an seinen so überaus vielfältigen Interessen. Er konnte sich prinzipiell für alles begeistern. Alles konnte blitzschnell seine Aufmerksamkeit gewinnnen und ihn von dem ablenken, was er gerade tun sollte. Darin lag aber doch auch gerade seine Kreativität, die man auch in der Firma immer so geschätzt hatte, zumindest bevor Baumeister gekommen war. Kleinkram nervt ihn, er kümmert sich lieber um das worauf es wirklich ankommt. Aber er es selbst war, der diese willkürliche Trennlinie zwischen Wesentlichem und Unwesentlichen zieht, stört Gumbrecht nicht im mindesten. Ebenso wenig nimmt er war, dass seine Ziele sich immer seltener mit denen der Firma decken. Allerdings ärgerte er sich in den letzten Monaten immer öfter und intensiver, wenn seine genialen Ideen von Baumeister und anderen nicht aufgegriffen wurden. Schlimmer noch empfand er Baumeisters Gegenvorschläge. Vorschläge, die die Firma in Gumbrechts Sicht ruinieren würden. Mehr noch, was Baumeister von ihm verlangte ödete ihn an.

Die Symptome der Procrastination waren ihm schon lange bekannt gewesen, aber erst in der Toskana konnte er sie zu einem einheitlichen Ganzen und -- was ihm als wissenschaftlich denkender Mensch besonders wichtig ist -- unter einem Terminus Technicus zusammenbringen. Er fühlte sich wie ein Kranker, der endlich eine Diagnose hatte. Nichts Körperliches, sondern eine Erkrankung, nein eher ein Zustand seiner Psyche. Ein Zustand der sich ändern ließ, was wiederum eine Hoffnung auf Heilung verhieß und daraus schöpfte er seine Erleichterung. Zu wissen woran er litt, war der erste Schritt zur Lösung. Damit hatte einen Hebel gefunden, mit dem er eine Weiche in seinem Leben umstellen konnte, raus aus der Sackgasse.

Zu dieser Erkenntnis hätte er auch zu Hause in Deutschland kommen können, dafür hätte es nur des Artikels und nicht der Fahrt in die Toskana bedurft. Eine Einsicht die, wie er glaubte, auch nichts mit dem Seminar zu tun hatte. Ein Seminar was noch nicht einmal begonnen hatte. Es ärgerte ihn, dass die Firma hier ihr Seminar abhielt, obwohl er die Toskana aufgrund seiner privaten Interessen fast mehr liebte als seine Heimat. Mit dem ebenso dummen wie teuren Seminar entweihte die Firma seinen ihm heiligen Ort, dachte er, als sich die Kursleiterin anschickte, den Kurs zu eröffnen.

Ob der Kurs gegen neun beginne, wollte Frauke wissen und Sylvia wies sie in einem belehrenden und tadelnden Tonfall darauf hin, dass es doch so in der Agenda stehe. Schließlich sei neun vorbei und man habe noch nicht angefangen, wehrte sich Frauke. Da wird man ja mal fragen dürfen.

Cedrik fand Frauke eigentlich sehr sympathisch, aber vor allen Dingen, weil sie normalerweise nicht zusammenarbeiten mussten. Was die Arbeit betrifft könnte er mit ihr nicht harmonieren, da war er sich sicher. Vor allen Dingen störte ihn ihr übertriebenes Pflichtbewußtsein und ihre Autoritätshörigkeit. Egal welchen Blödsinn Gumbrecht, Baumeister oder irgendein anderer sich ausdachte, sie packte die Ideen sofort mit Eifer an. Sie war auch immer die erste, die ihre AZA, wie alle die allseits gehassten Arbeitszeitabbrechnungen nur nannten, fertigstellte, während Cedrik meistens erst auf die zweite Ermahnung von Gumbrecht reagierte. Frauke war für Cedrik das Paradebeispiel einer Streberin. Außerdem erinnerte sie Frauke an seine Schwester. Sie war es immer, die von den Eltern für ihre große Ordentlichkeit gelobt wurde, während er im Chaos und im Tadel zu versinken schien. Mittlerweile, wo sie nicht mehr im häuslichen Konkurrenzkampf standen hatte Cedrik ein besseres Verhältnis mit seiner Schwester, aber er konnte sich nicht vorstellen, wie er jemals mit Frauke warm werden sollte. Das wäre wohl ein extra Seminar, dachte Cedrik: Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Firma.

Auch Garda, ihre Kursleiterin, schaut ungeduldig auf ihre Armbanduhr und sagt, dass sie nun wirklich beginnen müsse. Auch wenn man Italien sei, fügt sie scherzend hinzu, könne man es mit der Unpünktlichkeit nicht allzu sehr übertreiben. Ob jemand wisse, ob der Kollege bald komme?

-- ,,Wie jeder Star wartet er bis das Publikum ungeduldig wird!'', sagte Cedrik sarkastisch.

-- ,,Er hatte noch einen wichtigen Anruf!'', verteidigte ihn Lutz Willach.

Lutz Willach, auch Billy genannt, wurde vor ein paar Monaten die Leitung der Support-Abteilung übertragen. Aus Sicht der Firmenhierarchie ist er also Wolff nicht untergeordnet. Dennoch wirkt es häufig grotesk, wie er auch in unmöglichen Situationen Wolff verteidigt. Wie ein Hund laufe er hinter Wolff her, hatte Cedrik schon öfteres zu seinem Abteilungskollegen gesagt. Aber was an diesem Vergleich stört, ist die Tatsache, dass das Herrchen klein und dick ist und der Hund ihn um fast einen halben Meter überragt. In Besprechungen ist es peinlich, wenn Lutz Willach fast jede auch noch so nichts sagende oder falsche Äußerung von Wolff mit einem ,,Das sehe ich auch so!'' oder ,,Genau so ist es!'' kommentiert. Der kleine dicke Wolff schien so etwas wie ein großer Bruder für den Riesen Billy zu sein. Baumeister hatte Willach einmal während einer großen Runde zurechtgewiesen. Er habe ihn gefragt und nicht Wolff, als Lutz Willach sich fragend an Wolff gewendet hatte. Auch wenn er ja nicht sein Chef sei, hatte Baumeister später unter vier Augen zu ihm gesagt, gebe er ihm einen gut gemeinten Rat. Er solle die ihm übertragene Führungsaufgabe wahrnehmen!

-- ,,Wolff hat immer wichtige Anrufe!'', stichelt nun auch Syvia.

Dr. Wolff musste in Hörweite vor dem Raum gewartet haben, denn er platzt just in diesem Augenblick in den Raum.

-- ,,Schön, dass sie noch auf mich gewartet haben!''

Während er weder ein schlechtes Gewissen noch Eile zeigend selbstsicher durch den Raum zu seinem vorher von ihm reservierten Platz schlendert, fügte er noch bedeutungsvoll hinzu, dass es halt manche Gespräche gäbe, die man nicht abwürgen könne.

-- ,,Klar, wenn sich der Papst persönlich bemüht einen telefonisch willkommen zu heißen ...'', sagt Cedrik und erntet allgemeine Zustimmung außer von Dr. Wolff natürlich.

Aber falls Wolff Cedriks und Sylvias Bemerkung gehört hatte, so konnten sie ihn nicht aus der Fassung bringen. Er zeigt keinerlei Anzeichen von Irritation oder Verärgerung. Frauke und Sylvia, die an einem Nachbartisch von ihm sitzen, werden von ihm mit einem anzüglichen Grinsen begrüßt.

Wie eine Stewardess steht sie nun vor ihnen. Ein Eindruck, der vor allem durch ihre uniformartige Kleidung hervorgerufen wird und durch ihr energisches selbstsicheres Auftreten noch verstärkt wird. Auch wenn ihr dunkelblauer männlich wirkender Hosenanzug ihre Weiblichkeit verbergen soll, so tut er es nur unzureichend, denn die sexuelle Fantasie der anwesenden Männer -- mit Ausnahme von Gumbrecht natürlich -- wird dadurch nur weiter geschürt. Dennoch regt sie auch Gumbrechts asexuelle Vorstellungskraft an. Für Gumbrecht ist sie eine Wanderin zwischen Yin und Yang, zwischen dunkel und hell, zwischen Körper und Geist, zwischen Gefühl und Verstand. Spielball der scheinbar ambivalenten in jedem Menschen ringenden Kräfte. Um ihren Hals schlingt sich ein leuchtend gelber Schal, sonnengelb. ,,Willkommen bei der Etrusker-Air. Ich bin Circe, Ihre Flugbegleiterin ...und ich begrüße Sie herzlich zum extemporalen Flug Pisa-Populonia!', lässt Gumbrecht sie in Gedanken sagen. Wenn er schon in Tagträumen zu versinken droht, dann konnte er es gleich richtig tun, denkt Gumbrecht. Noch vor ein paar Jahren beherrschte die Firma sein Denken und Handeln. Langsam und unmerklich begann er jedoch eine Leidenschaft für Geschichte, speziell die des alten Roms zu entwickeln. Die politischen Intrigen des republikanischen alten Roms waren ihm bald geläufiger als die aktuellen Possenspiele des Bundestages. Aber was wirklich zählte, die Ränkeschmieden in der Firma, nahm er schon lange nicht mehr war. Stattdessen enttarnte er aufs Neue mit Cicero nach 2000 Jahren das verschwörerische Treiben Catilinas. Äußerst sensibel für die üblen Machenschaften im alten Rom, aber taub und blind für die Gerüchteküche der Firma, in der es unaufhörlich köchelte. So merkte er natürlich auch nicht, dass er zu einem der beliebtesten Hauptgerichte der Gerüchteküche avanciert war. Noch waren es Kleinigkeiten: Man hatte ihm oder besser, der von ihm geleiteten Abteilung drei Mitarbeiter entzogen, und sie dem von Dr. Winfried Wolff geleiteten Projekt zugeschlagen. Wolff und sein Projekt waren direkt dem Entwicklungsleiter Baumeister unterstellt. Man spekulierte, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Wolff eine eigene Abteilung erhalten würde und viele munkelten bereits, dass dies sicherlich auf Kosten von Gumbrechts Abteilung ginge. In manchen Gedankenspielen übernimmt Wolff sogar Gumbrechts Abteilung. Der erste Schritt bevor Wolff zum neuen Entwicklungsleiter avanciert, denn Baumeister -- auch wenn niemand an seine Qualifikation glaubte -- würde bald wieder befördert werden, darin waren sich fast alle einig. Gumbrecht schien taub zu sein für diese Spekulationen, ebenso wie für die Warnungen seiner Freunde, dass es Wichtigeres als das alte Rom gäbe. Als ob es dieser Ermahnung bedurft hätte. Rom war nichts ohne die alten Etrusker und die Welt wartete auf sein wissenschaftliches Elaborat über das alltägliche Leben dieses alten Kulturvolkes. Es sei eine richtige Marktlücke, verkündete er eines Tages seiner ratlos wirkenden Schwester, die sich Sorgen machte wegen seiner zunehmenden Entrücktheit.

-- ,,Also, ich bin die Garda!'', beginnt sie, ,,In meinen Kursen halte ich es immer so, dass wir uns mit den Vornamen anreden! Ich denke, wenn nichts dagegen spricht ...'', sie stockt, denn für einen Augenblick wirkt es, als käme Protest von Dr. Wolff und Gumbrecht, ,,können wir es auch in diesem Kurs so halten!''

Sie begrüße sie ihm Namen ihrer Firma, der ,,Coat IT'', eine Abkürzung, die für ,,Coaching and Teambuiling in Toscanny'' stehe. Coat habe viele Bedeutungen im Englischen. Jeder kenne wohl die Bedeutung Mantel. Außerdem stehe es auch für Schale oder eine Haut, wie zum Beispiel nach einem Anstrich. So wie es in ihren Seminaren darum ginge ihre Teilnehmer mit einer schützenden und stärkenden Haut oder Mantel zu vershen, dass sie nachher besser ihre Aufgaben im Leben oder der Firma versehen könnten.

Nach ihrer Einleitung versinkt Gumbrecht erneut in eigenen Gedanken. Auch wenn er immer wieder versucht sich zusammenzureißen. ,,Konzentrier' dich!'', meldet sich immer wieder sein schlechtes Gewissen, der beste und dennoch schlecht behandelte Freund eines jeden Prokrastinators. ,,Oder willst du, dass der sündhaft teure Kurs wirkungslos an dir abgleitet?'' Ist das nicht wieder ein Paradebeispiel für sein Problem, denkt er? Ein Zauderer, das war eine der möglichen deutschen Übersetzungen von Prokrastinator, die Gumbrecht aber nicht mochte. Es verengte seiner Meinung nach die Sichtweise zu sehr. Sein Problem war mehr als nur zögern und zaudern. Prokrastination das war mehr eine Lebensphilosophie, eine die man sich nicht selbst gewählt hatte, sondern eine, die einem vom Unterbewusstsein still und heimlich aufgezwungen wird. Er war jemand, der sich leicht ablenken ließ, aber nicht etwa, weil ihn seine Arbeiten überforderten. Das Gegenteil war der Fall! Wenn er sich langweilt, reißt ihn seine wissenschaftliche Neugierde aus dem Sumpf der Routine und führt ihn zu neuen Ufern. Selbst Cedrik Dumotel zollte ihm einen gewissen Respekt, wenn auch nur Kenner von Dumotel dies aus Aussagen wie ,,Von allen die nicht begreifen, um was es bei meiner Arbeit geht, verstehen Sie noch am meisten.'' ableiten können.

Von ihrem Seminarraum aus haben sie ein fantastisches Panorama: Hinter dem hoteleigenen Strand scheint sich ein endloser Pinienwald zu erstrecken und vor allen Dingen das blaue im Horizont versinkende Meer. Gumbrecht macht aber nur einen kleinen Kiesweg dafür verantwortlich, dass er sich nicht konzentrieren kann. Ein Weg, der zu einer Treppe durch die Klippen führte. Obwohl er die obersten, der in den Stein gehauenen Stufen von seinem Fensterplatz aus sehen kann, steht Gumbrecht auf, während Garda ihnen die Aspekte des Seminars erläutert. So als wolle er ein Fenster öffnen, bleibt aber dann fasziniert vor der Fensterscheibe stehen und drückt nach kurzer Zeit sogar seine Stirne gegen die Fensterscheibe. Weg und Treppe ziehen ihn magisch an. Laden ihn ein, den Saal zu verlassen und hinunter zum Meer zu gehen. Seine Begeisterungsfähigkeit ist aufs Neue geweckt, als gäbe es dort unten keinen Strand sondern eine alte etruskische Grabstätte mit unbekannten Details aus dem Leben der Etrusker zu entdecken. Obwohl das Seminar noch nicht einmal begonnen hatte, konnte es kaum mehr erwarten, bis endlich Pause wäre.

Er hört nicht Gardas irritiertes Hüsteln, die nun ihren Vortrag unterbrochen hat.

-- ,,Sie wollen das Fenster öffnen?'', fragt sie ihn, während sie zu ihm geht, um ihm zu helfen.

-- ,,Nein ...'', stammelt er gedankenverloren und korrigiert sich gleich in ein ,,Doch!''

-- ,,La scala per il cielo'', kommentiert Garda, die plötzlich seine schmachtenden Blicke zu verstehen glaubt. ,,Zu deutsch ...''

-- ,,Die Treppe zum Himmel,'', unterbricht sie Gumbrecht, um zu zeigen, dass er Italienisch versteht, ,,aber sie führt hinunter nicht hinauf!''

-- ,,Alles nur Sache der Perspektive! Vom Strand aus führt sie himmelwärts!'', mischt sich Cedrik in die Unterhaltung.

-- ,,Aber von ihr oben geht's halt runter!'', verteidigt sich Gumbrecht, der sich von Cedrik wie so häufig übertrumpft fühlte.

Nun hielt auch Frauke nichts mehr an ihrem Platz. ,,Treppe zum Himmel!'' klingt mystisch und alles was mit Mystik zu tun hat, interessiert sie brennend.

-- ,,Stimmt, wirkt wirklich mystisch!'', sagte Frauke Gortsworst, die nun auch Ihre Stirne gegen die Scheibe drückte.

Wer habe denn etwas von Mystik gesagt, korrigiert sie Sylvia. Aber Garda stimmt Frauke zu und sagt, dass die Treppe von unten, also vom Strand aus, wirklich sehr geheimnisvoll wirke. Wenn man unten am Strand sei und den stufig in die Klippen gehauenen Pfad anschaute, wirke es, als verschmelzen die letzten Stufen mit dem Blau des Himmels. Dort wo jetzt die kleine Kapelle stehe, sei einst einem Fischer die Mutter Gottes -- sie sagte la Santissima Madre -- erschienen. Kurz vor einem Krieg, sie wisse nicht mehr welcher. Unten am Strand habe er sich vor einem Gewitter in Sicherheit bringen wollen. Sie habe ihren Kopf nach unten geneigt, so als wolle sie in besser sehen. Dann seien große dicke Tränen aus ihren traurigen Augen gekullert. Tränen, groß wie Felsbrocken, seien die Klippen hinunter gerollt. Tränen die sich in Feuerbälle wandelten und den Weg in die Klippen brannten, den man später zur Treppe ausbaute. Wie durch ein Wunder seien aber die Feuerbälle kurz vor ihm zum stehen gekommen. Auch heute noch pilgerten jedes Jahr an einem bestimmten Tag im Mai, sie wisse nicht mehr genau wann, hunderte von Menschen, manche von weit her zu diesem Ort, den man ,,Madonna delle Lacrime di fuocco'' nenne. Auch vor dem zweiten Weltkrieg sei die Mutter Gottes an der gleichen Stelle wieder erschienen.

Frauke hatte auch etwas Madonnenartiges, denkt Cedrik. Erschiene sie im Dämmerlicht oben auf der Klippe in wallenden weißen Gewändern, könnte man sie auch für eine Marienerscheinung halten. Oder vielleicht besser eine Elfe, korrigiert Cedrik sein Bild. Eine Elfe in einer bewaldeten Flussniederung im Licht der aufgehenden Sonne. Sähe man sie inmitten von Nebelschwaden, die wie weißes Leinen Bäume und Sträucher umhüllten, fiele es auch einem eingefleischten Skeptiker schwer, nicht an eine überirdische Erscheinung zu glauben. Winkte sie einem Ahnungslosen mit ihren langen und dürren Armen, folgte er ihr gebannt und willenlos. Arme, so blässlich, dass ihre blauen Venen durchschimmerten,

Aber nicht nur äußerlich scheint sie dem Reich der Elfen entsprungen. Auf ihrem Schreibtisch türmen sich Heilsteine - unter anderem ein riesiger Rosenquarzbrocken zur Ableitung der schädlichen Strahlung des Monitors - und in ihren Schreibtischschubladen wimmelt es von verschiedenen Tinkturen oder besser Fläschchen mit klarem Wasser, in das sie einmal bestimmte von Edward Bach empfohlene Wildblumen getaucht hatte oder Wasser, was von befreundeten Heilern besprochen worden war, bestimmte Krankheiten zu heilen. Kein esoterischer Gedanke war ihr abstrus genug, dass sie ihm nicht enthusiastisch folgte. Cedrik Dumotel konnte es nie verstehen, dass sie sich zu einem Ingenierusstudium entschlossen hatte. Archäologin oder Bibliothekarin hätte nach Cedriks Einschätzung besser zu ihr gepasst. Aber er musste ihr zugestehen, dass sie ihre Arbeit gut machte. Cedrik billigte ihr sogar technisches Verständnis zu, was in Cedriks Fall einiges bedeutete, da er vielen anderen Kolleginnen und Kollgen dies vorenthielt. Dennoch war sie eine Träumerin, und damit passte sie zu Gumbrecht, dem begabtesten aller Traumfabrikanten.

Wie konnte es anders sein, als dass Frauke sofort bei der Treppe auf Wunder und Geistererscheinungen hoffte. Eine Treppe, die zu einem Ort der Heilung und Selbstfindung führt. Frauke konnte keine Wolken anschauen, ohne dass sich darin Heerscharen von Tieren, Dämonen und sonstigen Fantasiegestalten tummelten.

-- ,,Vielleicht gibt es ja auch noch andere Gründe für den Namen. Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt!'', rezitierte Frauke.

Cedrik hasst dieses Zitat, wird es doch allzu häufig dazu missbracuht pseudowissenschaftliche und okkulte Beahuptungen zu rechtfertigen für die es keinerlei wissenschaftliche Anhaltspunkte gibt. Klar gab es Dinge, die von der Wissenschaft noch nicht ergründet waren, aber den unvollständigen Erkenntnisstand der Wissenschaft als Beweis für absurde Vorstellungen zu nehmen war völlig abwegig. Also gibt es Einhörner, pferdeähnlich mit goldener Mähne, mit dem Schwanz eines Löwen und mitten auf dem Pferdekopf ein goldenes Horn. Nur Wissenschaftler konnten sie wegen ihre beschränkten Schulweisheit nicht sehen. Ebensowenig wie die Reiche der Zwergen und Riesen, die in den abgelegenen Regionen unserer Welt oder in derem Inneren ihr Wesen oder Unwesen trieben. So konnte man auch die Medizin zur Schulmedizin degradieren und anschließend an die Wirkung von mystischen Steinen, Bachblüten oder Homöopathie glauben, auch wenn sich der Wirksamkeit nicht wissenschaftlich nachweisen lässt. Ja der Nachweis nach dem Willen ihrer Anhänger noch nicht einmal erbracht werden durfte. Man weiß, dass es hilft, und wenn Statistiken etwas anderes sagen, dass verweist man auf Churchill, der gesagt haben soll, dass man keiner Statistk trauen solle, die man nicht selber gefälscht habe. Cedrik glaubte gelesen zu haben, dass es eigentlich Goebbels gewesen war, der diesen Spruch geprägt hatte, aber auch das würde nichts ändern.

-- ,,Apropos Strand,'', begann Sylvia Hell und es war sofort klar, dass sie das Thema entmystifizieren würde, ,,werden wir heute noch Zeit haben, ihn selbst zu begutachten. Nicht dass ich so blass nach Hause komme, dass die glauben, wir wären in Finnland gewesen.''

Ihre gespielte Sorge um ihre Bräune führte zur allgemeinen Erheiterung, denn sie war ein südländischer Typ und wirkte immer so, als käme sie gerade vom Strandurlaub.

-- ,,Wir sind doch nicht zum Baden hierhergekommen,'', ereiferte sich Frauke Gortsworst und schaute dabei Beistand suchend den nachdenklich wirkenden Gumbrecht an.

Gumbrecht nickte nur, so als könne er sich gerade nicht mit so banalen Dingen beschäftigen. Die anderen schauten Frauke irritiert und beinahe verärgert an.

Nicht nur das Meer und die südliche Vegetation sondern die ganze Atmosphäre des Kurses und der Räumlichkeiten ließen Sylvia permanent an Urlaub denken. Die nagelneuen schicken weißen Möbel, jeder an einem eigenen Tisch. Auf der Projektionswand die Golden-Gates-Bridge mit auf- oder untergehender Sonne im Hintergrund. Über den goldenen Himmel steht in schwarzen Lettern ,,Herzlich Willkommen'' und darunter der Titel des Kurses ,,Bridging all Gaps''und die Abkürzung BAG.

-- ,,Wirkt wie Urlaub-Werbung!'', flüsterte Frauke zu Sylvia.

-- ,,Urlaub gibt's auch noch.'', sagte Garda, die Fraukes Bemerkung gehört zu haben schien ,,Heute Nachmittag werden Sie genügend Zeit für den Strand haben, denn wir werden frühzeitig schließen. Da können Sie sich noch einmal stärken für das, was sie in den nächsten Tagen erwartet! Sie werden richtig was von der Natur kennenlernen.''

-- ,,Das klingt wie eine Drohung!'', sagte Burbacki.

Für ihn bedeutete Natur sportliche Betätigung und jeglicher Sport war für ihn ein Synonym für sinnlose körperliche Schikanen.

-- ,,Nur ein Versprechen!'', antwortete Garda mit einem hintergründigen Lächeln.

Wolff sitzt als einziger noch an seinem Platz. Seine Arme stützt er auf seine Oberschenkel, Fingerkuppen nach innen und Ellbogen nach außen zeigend, und seinen Brustkorb hat Wolff aufgebläht. Mit seinem schwarzbehaarten Igelkopf, seinen weit nach oben geöffneten Nasenlöchern und dem ewigem Dreitagebart wirkt er -- seinen Namen lügend strafend -- wie ein Gorillamännchen. Einer dieser wuchtigen Patriarchen, die man im Zoo hinter Glas bewundern kann. Träge und scheinbar apathisch sitzen sie auf ihren mangels Bewegung mit Hämorriden überhäuften Hinterteilen. Aber in ihren Augen kann man oft reges Interesse an den jenseits der Glasscheibe ulkige Fratzen machenden Verwandten erkennen. Um sie herum Affendkinder, die in kindlichem Übermut herumtollen und immer wieder versuchen auch den Vater zum Spielen zu animieren. Weibchen, die neben dem Miniatur King Kong klein und hilflos wirken, klettern im spartanischen Minidschungel herum. Alle erschrecken, wenn der Patriarch plötzlich lautstark, sein Unbehagen bekundet oder sogar seine imposante Masse erhebt und mit seinen langen behaarten Armen um sich wirbelt.

Auch wenn die Verhaltensforschung von Primaten nicht zu Cedriks Spezialgebieten gehört, glaubt er instinktiv zu erkennen, dass diese Position einen Machtanspruch verkörpert. Cedrik glaubt in allen Blicken der anderen Missbilligung oder zumindest Irritation zu sehen. Cedrik erinnert sich spontan an einen extremen Wutausbruch eines Kollegen vor einigen Monaten in der Kantine. Cedrik fand sich zufällig an diesem Tag zusammen mit Frauke und Maximilian, ein Kollege, mit dem er normalerweise fast nichts zu tun hatte, an einem Tisch, als sich Wolff dazusetzte. Er hatte nocht nicht richtig Platz genommen, als er auf einen Schlag Frauke und Maximilian gegen sich aufbrachte. Beide stocherten lustlos in ihrem Essen herum und wenn sie eine gefüllte Gabel zum Mund führten, schienen nur mit Mühe schlucken zu können. Wutverstopfung. Wolff schlang sein Essen und lief in seinem Primaten-Alpha-Männchen-Gang zur Tablettabgabe. Es habe nicht viel gefehlt und er wäre ihm an die Gurgel gesprungen, platzte es unverzüglich aus Maximilian, kaum als sich Wolff außerhalb der Hörweite befand. Er habe sie provozieren wollen, sprudelte es gleichzeitig aus Frauke. Er wisse genau, dass sie zur Zeit Probleme in ihrem Projekt namens RUN2 hätten. Wie denn RUN laufe, hatte er sie begrüßt. Am meisten hatte sie sein Hilfsangebot aufgebracht, was Cedrik zunächst nicht verstehen konnte. Nichts konnte in ihrer Firma geheim bleiben, erst recht keine vertraulichen Gespräche. So hatten Frauke und Maximilian sehr schnell von Wolffs Versuchen gehört, RUN2 an sich oder genauer gesagt in seine Gruppe zu ziehen. Er habe die besseren Leute flötete er in die Ohren Baumeisters und anderer Entscheidungsträger. Man müsse ein solch wichtiges Projekt in die Hände von kompetenteren Mitarbeitern geben. Er hätte ihn ungespitzt in den Boden schlagen können, ereiferte sich Maximilian. Wolff müsse hoffen, ihm nicht im Dunkeln zu begegnen. Cedrik dachte, während er ein leichtes Lächeln nicht verbergen konnte, dass sich Wolff dann sicherlich ebenso fürchten würde, wie ein Bernardiner, der plötzlich von einem Dackel angefallen würde. In seiner Vorstellung sah Cedrik einen Dackel winselnd und mit eingezogenem Schwanz von einem Bernardiner davon eilen. Maximilian interpretierte sein Lächeln als Zustimmung und steigerte nun seine Hasstiraden, indem er nun postulierte, dass ein Schwein wie Wolff erschlagen gehöre. Als auch Frauke zustimmend nickte, wiegelt Cedrik ab. Auch er könne Wolff auf den Tod nicht ausstehen könnte, aber Mord und Totschlag ginge ihm zu weit. Aber seine Sprache habe doch offengelegt, dass er sich mit ähnlichen Gedanken rumschlage, wandte Frauke scharfsinnig ein, oder wie sonst solle sie sein ,,bis auf den Tod nicht ausstehen'' interpretieren. Cedrik erschrak über seine Wortwahl und wiegelte ab, dass dies nur so eine unbedachte Redewendung gewesen sei. Klar, er wolle Wolff loswerden, aber dadurch, dass dieser freiwillig wegginge oder entlassen würde. Egal wie, Hauptsache er wäre weg, hatte Frauke damals mehrdeutig gesagt.

-- ,,Also ich denke, wir sollten jetzt weitermachen mit unserem Seminar!'', sagt Garda, während sie wieder zum Beamer geht.

Cedrik schaut in Fraukes Richtung und wird mit einem zustimmenden Lächeln empfangen. Ihm erscheint es, als habe sie seine Gedanken gelesen, als habe sie sich auch an diese Begegnung in der Kantine erinnert. Wie sieht es aus, schien sie ihn lautlos zu fragen. Hatten wir recht, was Wolff betrifft?

© Bernd Klein