Gefesselt und geknebelt

Gumbrecht spreizte mit Daumen und Zeigefinger zwei Lamellen der Jalousie, um besser auf den Hof sehen zu können. Ungeduldig wartete er, dass Frauke und Cedrik auftauchten. An einen Stuhl gefesselt saß in der Mitte des Raumes Giorgio. Sie hatten ihn geknebelt, damit er nicht schreien könne. Dennoch war Giorgio nicht still. Sein ständiges Stöhnen und Röcheln war nicht laut genug, um von anderen gehört werden zu können, aber deutlich genug, dass Gumbrecht seinen Protest und sein Unwohlsein spürte. Manchmal wirkte es für Gumbrecht so, als wäre er am Ersticken, aber er sagte sich, dass dies nicht sein könne, da ja seine Nase frei war. In seiner rechten Hand hielt Gumbrecht den Revolver, den sie Giorgio abgenommen hatten. Immer wieder musste er die Waffe beiseite legen, um sich seine schwitzenden Hände an seiner Hose abzuwischen. Dabei schaute er dann misstrauisch auf Giorgio, so als könne der Gefesselte diese Gelegenheit nutzen, ihn anzugreifen. Gumbrecht fragte sich, was er tun würde, wenn jemand den Raum betreten würde. Er müsste sie mit der Waffe bedrohen, aber davor fürchtete er sich. Was wenn jemand sich nicht von ihm bedrohen ließe? Wenn jemand spürte, dass er nicht kaltblütig genug wäre, um wirklich abzudrücken. Was wenn jemand einfach näher käme, langsam auf ihn zuginge und ihm dann widerstandslos die Waffe abnähme. Gumbrecht glaubte, dass man es ihm direkt ansehen würde, dass er nicht schießen könnte. Oder würde er es tun, würde er aus Angst abdrücken. Vielleicht aus Versehen mit seinen schweißnassen Fingern abrutschen, weil er zu sehr zitterte. Bereits jetzt zitterten seine Hände so sehr, dass er keine Suppe mehr löffeln könnte.

Wo blieben sie so lange? Sie wollten nur in ihre und sein Zimmer gehen, um das Gepäck zu holen. Hatte sie jemand aufgehalten. Es wäre doch sicherlich verdächtig, wenn man sie mit dem ganzen Gepäck sähe. Aber sie könnten einfach sagen, dass sie weg wollten. Schließlich konnte sie niemand zwingen zu bleiben.

Plötzlich erschrickt Gumbrecht, als er Garda über den Hof laufen sieht. Unwillkürlich zuckt seine Hand von den Lamellen zurück. Was wenn Garda nun draußen bliebe oder, was noch schlimmer wäre, wenn sie in den Shop käme. Die ganze Zeit kam sich Gumbrecht bereits wie ein Verbrecher vor, aber jetzt fühlt er sich wie einer, der in die Enge getrieben war, dessen kurze Karriere außerhalb des Gesetzes zu Ende ging.

Gumbrecht versuchte jeden Blickkontakt mit Giorgio zu vermeiden. Vergeblich versuchte er seine Augen zu meiden, obwohl sie nicht mehr stechend und brennend waren. Keinerlei Aggression spiegelte sich in ihnen. Wie ein treuer Hund klebten Giorgios Blicke an ihm. Einer der seinen Herren auch Misshandlungen verzeiht. Einer der um Gnade fleht, nicht verstehen kann, was seinen Herrn so gegen ihn aufgebracht haben könnte. Gumbrecht kämpfte gegen den Drang ihn einfach loszubinden und dann nach draußen zu Garda mit ihm zu gehen. Er würde lachen, sagen, dass alles ein dummes Missverständnis sei. Sie hätten sich wie dumme Kinder benommen, aber hätten nie etwas Böses im Schilde geführt. Aber dann blickte Gumbrecht wieder auf die etruskischen Gegenstände im Raum. Es musste sich hier um eine Grabräuber- und Schmugglerbande handeln. Wenn denen klar würde, dass ihr Geheimnis enttarnt wäre dann würden die garantiert keinen Spaß mehr verstehen. Für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, dass Garda möglicherweise nichts von dem ganzen Treiben wüsste, dass er sie einweihen könnte, aber dann verwarf er die Idee wieder. Sie konnten nichts dabei gewinnen.

Vorsichtig lugte er wieder durch die Lamellen und sah, dass Garda es sich auf einer der Liegen neben dem Swimmingpool gemütlich gemacht hatte, im Schatten der mehrstämmigen Steineiche. So wie sie dort lag, konnte sie nicht auf den Weg sehen. Wenn Frauke und Cedrik kämen, würde er zu Garda gehen, würde sie in ein unverfängliches Gespräch verwickeln, während Cedrik und Frauke unbemerkt das Gepäck durch das, wie er sehen konnte, offene Tor hinaustragen würden.

© Bernd Klein